Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
bedeutendes innovatives Potenzial. Das Ferrari-Werk bei Modena war eines von vielen Unternehmen, die Italiens Image von Chic und Eleganz beförderten, so wie das Vespa-Werk im toskanischen Pontedera das »coole« Italien verkörperte, besonders nachdem Gregory Peck und Audrey Hepburn im Film Roman Holiday (Ein Herz und eine Krone) mit einer Vespa durch Rom gefahren waren. Auch die Modebranche mit dem Zentrum zuerst in Florenz und später in Mailand wurde zum Inbegriff des italienischen Stils. Italien wurde zwar auch von London und den Swinging Sixties, von den Beatles und der Carnaby Street beeinflusst, aber die Carnaby Street, einst bekannt für Modedesign, ist heute Folklore. Gucci und Armani dagegen sind große internationale Markennamen.
Italiens wirtschaftlicher Aufschwung war der Hilfe des Marshallplans zu verdanken, aber auch der Dynamik und den Fähigkeiten seiner Bevölkerung. Auch die Regierung trug ihren Teil dazu bei. Obwohl Vollmitglied der NATO, gab Italien nicht einmal ein Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung aus. Und ohne Kriege und Kolonien, die erobert werden mussten, konnte es jetzt Geld in die Infrastruktur stecken, besonders in den Bau guter Autobahnen, der zügig voranschritt. In nur acht Jahren wurde die gesamte Autostrada del Sole fertiggestellt, eine Strecke von 755 Kilometern von Mailand nach Neapel mit 38 Tunneln, 113 Brücken und fünf Kapellen. Auf norditalienischen Autobahnen gibt es nicht zuletzt deshalb so viele Staus, weil Italiener mehr Autos besitzen als andere Europäer und weil der Staat viel Geld in den Straßenbau und wenig in das Schienennetz investierte. Als Erstes fällt einem auf einer Bahnfahrt durch Italien auf, dass alles sehr alt ist: das Schienennetz, die Bahnsteige, die Waggons, Lokomotiven, Güterwagen und – abgesehen von einigen größeren Städten – auch die Bahnhöfe. Wer das Land mit der Eisenbahn bereist, wird bald feststellen, dass der sogenannte accelerato der langsamste Zug Italiens ist. Auch die anderen Züge sind nicht besonders schnell, jedenfalls verglichen mit denen anderer westeuropäischer Länder, und einige werden immer langsamer. Der IC zwischen Mailand und Turin braucht heute zehn Minuten länger als im Jahr 1987. Für die 440 Kilometer quer durch Sizilien – von Ragusa im Südosten bis Trapani im Nordwesten – braucht der Bahnreisende neuneinhalb Stunden, Wartezeiten und ein Zubringerbus inbegriffen. *328
Wie andere westliche Staaten litt auch Italien unter der Wirtschaftskriseder siebziger Jahre, erholte sich aber schneller als die meisten. Diesen Erfolg verdankte es dem Aufstieg des »Dritten Italien«, das sich von dem industrialisierten Nordwesten und dem agrarischen Süden unterscheidet. La Terza Italia mit dem Schwerpunkt in Mittelitalien und Venetien ist durch ein Netzwerk kleiner und mittlerer Familienunternehmen gekennzeichnet, die erfolgreich wirtschaften und bisweilen sogar zu internationalen Konzernen expandieren. Ein Beispiel ist die Familie Benetton aus Treviso, die sich einen Markt für bunte Strickwaren erschloss. Sie begann mit einer einzigen gebrauchten Strickmaschine, heute besitzt sie über 6000 Läden in 120 Ländern. In den Provinzen des »Dritten Italien« sind Talente und ein Unternehmergeist aktiv, der die Halbinsel im Mittelalter an die Spitze der europäischen Wirtschaft brachte. Hoher Qualität und einem eleganten Stil verpflichtet, zählen italienische Unternehmen zu den weltweit führenden Produzenten von Keramikwaren, Glas, Schuhen, Kleidern und Möbeln. Da es mit diesen Branchen in Großbritannien bergab ging, war die italienische Wirtschaft im Jahr 1986 stärker als die britische. Die Italiener jubelten über diesen sorpasso , der ihre Wirtschaft zur fünftgrößten der Welt machte. Manche prophezeiten, es werde bald auch Frankreich überholen und zur viertgrößten Wirtschaftsmacht aufsteigen. Ende der 1980er Jahre war Italien eine Erfolgsgeschichte.
Zu den Opfern des Wirtschaftswunders zählte die Umwelt. Die nach dem Krieg entstandene Verfassung hatte den Schutz der Landschaft als eine staatliche Aufgabe definiert, aber diese Klausel wurde weitgehend ignoriert. Die Stadtzentren Ober- und Mittelitaliens sind in der Regel gut erhalten, die Peripherie dagegen ist durchgehend hässlich, ausufernd und chaotisch. Für Außenstehende scheint es, als gebe es eine stillschweigende Übereinkunft zwischen den Bürgern und ihrem Staat, wonach die Italiener zum Ausgleich für den Erhalt ihrer
Weitere Kostenlose Bücher