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Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)

Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)

Titel: Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gilmour
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Größenwahn, als der Ministerpräsident sich auch noch zum Außen- und Innenminister ernannte – ein Trend, der sich in wahnwitzigem Tempo fortsetzte. Im Jahr 1929 hatte Mussolini 8 der 13 Kabinettsposten an sich gezogen. Und niemand nahm es ihm übel, dassseine Schlägertrupps politische Gegner verprügelten und töteten, unter ihnen Mussolinis mutigsten Kritiker, den sozialistischen Abgeordneten Giacomo Matteotti, der im Juni 1924 ermordet wurde. Ein gleichgültiges Parlament verabschiedete Gesetze gegen die Pressefreiheit, garantierte eine faschistische Mehrheit im Abgeordnetenhaus und festigte den Apparat eines autoritären Staates. Dafür zahlte es einen vorhersehbaren Preis: Bald wurden alle politischen Parteien abgeschafft bis auf eine, den Partito Nazionale Fascista.
    Giolitti war der Erste unter den Liberalen, die ihren Fehler erkannten, aber da war es schon zu spät. Im Januar 1925 sprach er Mussolini im Parlament sein Misstrauen aus, wurde aber nur von 36 Abgeordneten unterstützt. Es wären sehr viel mehr gewesen, wenn die Sozialisten es nicht vorgezogen hätten, das Parlament zu verlassen, womit sie Mussolini erneut in die Hände spielten. Italien, so meinte Giolitti, habe die Regierung erhalten, die es verdiene. Treffender wäre es gewesen zu sagen, die Sozialisten hätten die Regierung erhalten, die sie mit ihrem Verhalten heraufbeschworen. Der greise Staatsmann, der bedeutendste Politiker des italienischen Liberalismus, starb 1928 im Alter von 85 Jahren. Mussolini nahm nicht am Begräbnis teil. Auch der König nicht, dem er so hervorragend gedient hatte.

WOHLSTAND IN ITALIEN
    Vom frühen Mittelalter bis zum Ende des 16. Jahrhunderts war Italien das reichste Land Europas. Danach fiel es hinter Frankreich, die Niederlande und England zurück, und in den Jahren nach der Einigung wurde Italien das ärmste Land Westeuropas außerhalb der Iberischen Halbinsel. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Italiener arm, wie es die neorealistischen Filme vorführten, und ihr Land stand wirtschaftlich hinter den übrigen fünf Gründungsstaaten der Montanunion 1952 zurück.
    Die fünfziger und sechziger Jahre jedoch wurden die erfolgreichsten Jahrzehnte in der Geschichte des geeinten Italien. Zwischen 1951 und 1969 wuchs die italienische Wirtschaft um durchschnittlich fast 6 Prozent pro Jahr, die Exportrate schoss noch schneller in die Höhe. Wenn man bedenkt, dass Italien zu Beginn der fünfziger Jahre praktisch ein Agrarland war, sind diese Zahlen erstaunlich. 1967 produzierte Olivetti fast eine Million Schreibmaschinen pro Jahr, Fiat war der zweitgrößte Autohersteller Europas, und pro Jahr wurden in Italien über 3 Millionen Kühlschränke produziert, mehr als in jedem anderen Land mit Ausnahme der Vereinigten Staaten und Japan. Innerhalb einer einzigen Generation entwickelten sich die Italiener zu einer Konsumgesellschaft. Die Bevölkerung konnte sich nicht nur Kühlschränke leisten, sondern auch Autos, Fernseher, Waschmaschinen und gute Kleidung. Man kann zu Recht von einem Wirtschaftswunder sprechen.
    Im Jahr 1948 wurde der junge Journalist Piero Ottone als Korrespondent der italienischen Zeitung Corriere della Sera nach London geschickt. In Calais stellte er sein Auto in die falsche Warteschlange nach Dover, woraufhin ein Gendarm auf ihn zutrat, ihn auf seinen Fehler aufmerksam machte und geringschätzig aufstöhnte, als er das Landeskennzeichen auf dem Auto sah: »Ah, les Italiens …« Der empörte Ottone war drauf und dran, formell Beschwerde einzulegen. Geboren 1924, war er in dem Bewusstsein aufgewachsen, Italien sei ein großes Land, Mussolini ein großer Herrscher, und Großbritannien, Frankreich und die USA seien »alte, graue und dekadente« Staaten, die von Italien zu Recht mit Verachtung gestraft wurden. Zugegebenermaßen hatten die Italiener zwar gerade einen Krieg verloren, aber so etwas konnte jedem passieren, und von einem französischen Polizisten von oben herab behandelt zu werden erschien ihm einfach nicht hinnehmbar. *327 Ottone, später Chefredakteur des Corriere della Sera , begriff schnell, warum seine Landsleute einen so schlechten Ruf hatten, und er war selbstverständlich froh, dass Italien aus eigener Kraft nach oben kam. Das Ansehen Italienswuchs, allerdings nicht so, wie Crispi, Vittorio Emanuele und Mussolini es sich erträumt hatten. Es wurde keine Weltmacht, sondern entwickelte in so unmartialischen, hochproduktiven Bereichen wie Film, Mode und Industriedesign ein

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