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Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Titel: Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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für ihn, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass er den Schaden, den er bei seinen Opfern angerichtet hat, niemals rückgängig oder wiedergutmachen kann. Er saß seine Strafe ab und arbeitete die Jahre, in denen ich ihn sah, hart und mit voller Überzeugung an sich. Dabei lernte er Strategien, die ihn davor bewahren werden, jemals wieder zum Täter zu werden. Er ist einer von jenen, bei denen ich fest daran glaube, dass er nicht mehr rückfällig werden wird.
    Immer wenn ich einem Täter gegenübersitze, denke ich, egal was er getan hat, an den »Butterfly Effect«. Ich versuche etwas über sein Leben zu erfahren; zu verstehen, was mit ihm passiert ist, warum er so geworden ist. Wenn er sich unkooperativ verhält, wenn seine Tat besonders gravierend war und er sich noch sehr uneinsichtig zeigt, dann stelle ich mir das Kind vor, das er früher war. Das Kind, das in einer Lebensumgebung aufwuchs, die seine jetzige Persönlichkeit geformt hat. Ich frage mich, was dieses Kind damals vermisst hat, womit es nicht klarkam, was es Unangenehmes erlebt hat.
    Oft hatten Täter als Kinder kein Selbstwertgefühl. Sie fühlten sich – und wurden auch tatsächlich – von ihrer Familie oder ihrem sozialen Umfeld abgelehnt. Viele von ihnen hatten Eltern, die ihre Gefühle und Bedürfnisse ignorierten. Daher begannen sie zu glauben, dass sie als Menschen, so wie sie sind, nicht in Ordnung sind. Daraus erwuchs wiederum der Glaube, sie könnten von anderen nur durch Härte oder Manipulation das bekommen, was sie sich wünschen. Wenn ich mit einem Täter arbeite, sehe ich diese Ursprünge seiner Persönlichkeit. Ich denke an das Kind, das er mal war. Dann ist es leicht, freundlich mit ihm zu reden und ihm zu zeigen, dass man ihn nicht für ein Monster hält. Ich versuche zu vermitteln, dass ich ihm als einem Menschen gegenübersitze, mit dem ich arbeiten möchte, damit er sich für sich selbst und für andere positiv verändern kann.
    Ich versuche dabei stets, eine innere Haltung einzunehmen, die eines meiner Lieblingszitate gut zusammenfasst. Es stammt aus dem Roman »Wer die Nachtigall stört« von Harper Lee:
    »Du wirst einen Menschen nie wirklich verstehen, bis du die Dinge aus seinem Blickwinkel betrachtest. Bis du in seine Haut schlüpfst und darin umherläufst.«

Die Wirklichkeit ist keine Krimiserie
    Viele Menschen, die »True Crime«-Bücher und -Serien interessant finden, sagen, dass sie von Verbrechen fasziniert sind. Das gilt auch für Besucher meiner Kurse für Kriminalpsychologie oder der Vorträge, die ich mit Mark Benecke gehalten habe. Doch was fasziniert sie genau? Viele sagen, sie seien »fasziniert vom Bösen«. Oft mögen sie Krimiserien wie »CSI« und sagen, sie hätten gerne einen Beruf, der mit der Aufklärung von Verbrechen zu tun hat.
    Es scheint, als würden sie an die »Guten« und die »Bösen« in der Welt glauben, daran, dass man Gerechtigkeit herstellen und die »Bösen« aus dem Verkehr ziehen kann. Das ist aus meiner Sicht der falsche Ansatz. Da ich Menschen nicht in »gut« und »böse« einteile, finde ich die Frage viel faszinierender, wie nah die Grenze zwischen »guten« und »bösen« Handlungen in jedem einzelnen Menschen liegt. Was muss passieren, damit auch psychisch unauffällige Menschen sich zu Tötungen, Folterungen und Vergewaltigungen hinreißen lassen? Der Psychologe Philip Zimbardo forscht bis heute an dieser Frage. Er führte 1971 das »Stanford-Prison-Experiment« durch, bei dem er psychisch unauffällige Studenten innerhalb von wenigen Tagen dazu brachte, sich zunehmend unmenschlich zu verhalten. Die freiwilligen Teilnehmer wurden nach Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt, »Gefangene« und »Wärter«. Der Versuch wurde im Keller der Stanford University durchgeführt, wo ein Gefängnistrakt nachgebaut worden war. Die Gruppe der Wärter trug Uniformen und verspiegelte Sonnenbrillen. Die Gruppe der Gefangenen trug Gefängniskleidung; sie wurden nicht mit Namen, sondern mit Nummern angesprochen.
    Während die Gefangenen sich von Anfang an nicht in ihre Rolle fügen wollten und die Wärter zunächst nicht ernst nahmen, versuchten die Wärter, die Kontrolle über ihre Gefangenen zu halten. Dabei setzten sie zunehmend drastische Mittel ein. Das eigentlich auf zwei Wochen angesetzte Experiment wurde schließlich schon nach sechs Tagen abgebrochen.
    Dies war nur eines von vielen psychologischen Experimenten, die zeigen, dass fast jeder Mensch unter bestimmten Bedingungen grausam

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