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Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Titel: Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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entscheiden immer noch Juristen. Forensische Gutachter von Straftätern geben den Juristen eine Einschätzung aus ihrem Fachbereich, ob ein Rückfall beim betreffenden Täter eher wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ist. Mithilfe dieser Einschätzung und anderer Informationen entscheidet ein Richter dann, wie er verfährt.
    Kein forensischer Psychologe oder Psychiater, egal ob er als Therapeut oder als Gutachter arbeitet, würde jemals behaupten: »Ich kann sicher ausschließen, dass dieser Straftäter rückfällig wird.« Mir persönlich fallen nur zwei Ausnahmen ein, in denen ich diesen Satz sagen würde: Der Täter müsste so schwer und dauerhaft erkrankt sein, dass er allein körperlich nie mehr in der Lage zu einer Straftat wäre. Oder er müsste nachweislich verstorben sein.

Nichts ist absolut sicher
    Hundertprozentige Sicherheit gibt es so gut wie nie im Leben. Ein Fluglehrer, der gewissenhaft arbeitet, kann über einen guten Flugschüler sagen: »Ich habe meinem Schüler alles beigebracht, was er nach dem Stand der heutigen Ausbildung wissen muss. Er ist erst im Flugsimulator und dann in echten Flugzeugen geflogen, während ich neben ihm saß. Als er seinen Pilotenschein bekam, reichte das, was er gelernt hat, und alles, was ich von seinen Flugfähigkeiten gesehen habe, aus, damit er sicher Flugzeuge fliegen kann.«
    Was, glauben Sie, würde dieser Fluglehrer sagen, wenn jemand ihn fragt: »Kannst du absolut ausschließen, dass dieser Schüler jemals einen Fehler machen wird, der zu einem Absturz führt?« Jeder Fluglehrer mit gesundem Menschenverstand würde antworten: »Aufgrund aller Informationen, die ich habe, halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass er einen solchen Fehler machen wird. Aber absolut ausschließen kann ich das nicht. Ich bin nicht allwissend.«
    In solchen Dingen kann es keine absolute Sicherheit geben. Immerhin gibt es heutzutage gut erforschte, wissenschaftliche Methoden, um eine sogenannte »Rückfallprognose« zu erstellen. Mithilfe dieser Methoden kann ein forensischer Psychologe oder Psychiater entscheiden: Ist es sehr wahrscheinlich, eher wahrscheinlich, eher unwahrscheinlich oder sehr unwahrscheinlich, dass ein Straftäter rückfällig wird?

Fehlannahme 2:
Täter müssen nur »Reue heucheln«, und schon werden sie als ungefährlich eingestuft.
    Das einzige Mittel gegen Aberglauben
    ist die Wissenschaft.

    (Henry Thomas Buckle)
    Ich frage mich bis heute, woher dieser Irrglaube kommt. Dabei muss man sich nur eine Frage stellen: Warum werden manche Straftäter trotzdem dauerhaft als gefährlich eingestuft und bleiben ihr Leben lang eingesperrt?

Wie wahrscheinlich ist ein Rückfall? –
Viele Informationen erschaffen das Gesamtbild
1. Aktenstudium
    Das Rückfall-Risiko eines schweren Straftäters zu bestimmen, ist sehr arbeitsintensiv und kompliziert. Zunächst müssen sehr viele Informationen gesammelt, gelesen und richtig genutzt werden. Die erste und wichtigste Quelle hierfür sind die Akten über den Täter. Diese zeichnen für den Experten ein Bild seiner Lebensgeschichte, seiner Persönlichkeit, eventuell auch seiner sexuellen Vorlieben und seiner psychischen Störungen, falls er solche hat.
    Die Akten verraten ebenfalls, ob und wenn ja welche Vorstrafen der Straftäter hat, wie es zu der oder den Taten gekommen ist und was der Täter vorher, währenddessen und danach getan hat. Auch ob er überhaupt eine Therapie während der Haft gemacht hat oder ob er noch dabei ist und wie sich diese bisher eventuell auf ihn ausgewirkt hat, muss ein Gutachter oder Therapeut berücksichtigen.
2. Eindruck durch persönliche Gespräche
    Aus all diesen Informationen erstellt der Experte in seinem Kopf ein erstes Gesamtbild vom Straftäter und seinen Eigenschaften. Dieses Bild muss er durch persönliche Gespräche ergänzen. Solche Gespräche finden an mehreren Terminen statt und dauern jeweils mehrere Stunden. Der Straftäter äußert sich darin selbst, unter anderem zu seiner Lebensgeschichte, seinen Taten und seiner bisherigen Haftzeit.
    Er soll möglichst frei und umfassend sprechen können und seine Gedanken und Gefühle dabei mit eigenen Worten beschreiben. Außerdem soll er berichten, ob er sich seiner Meinung nach während der Haft verändert hat und wenn ja, inwiefern und warum.
    Was der Straftäter sagt, wie er es sagt, wie seine Stimmung bei den verschiedenen Gesprächsterminen ist, ob er sich konzentrieren kann, solche und viele andere Beobachtungen bettet der Gutachter oder

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