Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
kann er aus einem Therapieprogramm im Gefängnis (beispielsweise in einer Sozialtherapeutischen Anstalt) ausgeschlossen werden – wenn er die Therapie nicht selbst abbricht.
Besonders bei schweren Straftätern, die in Haft therapiert werden, wird die aktuelle Rückfall-Wahrscheinlichkeit immer wieder neu eingeschätzt. Je nachdem, zu welchem Zweck dies getan wird, führt die Einschätzung ein forensischer Gutachter oder der Therapeut durch. In jedem Fall aber sind neben den persönlichen Gesprächen mit dem Straftäter seine Akten einerseits und die wissenschaftlichen Tabellen und Tests andererseits die wesentlichen »Stützpfeiler« dieser Einschätzung.
Gutachter von außerhalb werden beispielsweise manchmal für »Entlassungsprognosen« bestellt. Sie sollen also einschätzen: »Wie wahrscheinlich ist es, dass dieser Straftäter nach seiner Entlassung rückfällig wird?« In diesem Fall führt der Gutachter oft mehrere längere Gespräche mit dem Täter, den er dafür im Gefängnis aufsucht.
Der Therapeut des Straftäters schätzt dessen Rückfall-Risiko ebenfalls ein. Er berücksichtigt dabei zusätzlich zu den Akten-Informationen seine Einschätzung, wie der Straftäter sich bisher in der Therapie und im Gefängnisalltag verhalten und entwickelt hat. Dies muss ein Therapeut beispielsweise tun, wenn er eine »Lockerungsprognose« verfasst. Diese Prognose beeinflusst maßgeblich, ob die therapeutische Leitung für einen Straftäter eine »Vollzugslockerung« anordnet. Aufgrund einer solchen Lockerung darf der Straftäter das Gefängnis für begrenzte Zeit und unter bestimmten Bedingungen verlassen.
Diese Vollzugslockerungen werden nicht einfach aus Nettigkeit durchgeführt. Sie dienen einerseits als vorsichtige Tests dafür, wie ein Straftäter sich nach längerer Haft außerhalb des Gefängnisses verhält. Solche Straftäter müssen erst langsam wieder lernen, in »der Welt draußen« klarzukommen. Sie müssen sich daran gewöhnen, wie es ist, einzukaufen, Behörden und Ärzte aufzusuchen, unter anderen Menschen zu sein. Aus diesen Gründen gibt es unterschiedliche Vollzugslockerungen, die ein Straftäter nacheinander erhalten kann.
Die ersten Lockerungen werden »Ausführung« genannt. Dabei darf der Straftäter, von einem Vollzugsbediensteten begleitet, für einige Stunden das Gefängnis verlassen. In dieser Zeit kann er beispielsweise einen Arzttermin wahrnehmen, Kleidung einkaufen oder seine Angehörigen besuchen. Sind einige solcher Ausführungen ohne Zwischenfälle verlaufen und ist der Straftäter auch im Gefängnis nicht negativ aufgefallen, dann erhält er irgendwann »Ausgang«. Dabei darf er für mehrere vorher festgelegte Stunden das Gefängnis ohne Aufsicht verlassen. Wenn auch mehrere Ausgänge ohne Zwischenfall verlaufen sind, kann der Straftäter irgendwann »Hafturlaub« beantragen. Dabei darf er in festgelegten Zeiträumen und an festgelegten Orten einen oder mehrere Tage außerhalb des Gefängnisses verbringen und auch außerhalb übernachten. Straftäter bekommen höchstens einundzwanzig Hafturlaubstage im Jahr.
Fehlannahme 3:
Mindestens ein schwerer Straftäter flüchtet während einer Gruppenausführung und wird damit zu einer Gefahr für die Allgemeinheit.
Wir sind voller Angst,
allerdings vor den falschen Problemen.
(Hoimar von Ditfurth)
Die Fakten über den geplanten Bootsausflug haben den Verfasser des genannten »Briefes« offenbar keinen Deut interessiert: Zwölf Sicherungsverwahrte sollten an einem Montagvormittag, von immerhin neun Justizvollzugsbediensteten begleitet, eine »Gruppenausführung« machen. Dabei sollte im nicht weit vom Gefängnis Madel gelegenen Magdeburg eine Schiffstour auf der Elbe gemacht werden. Diese Gruppenausführung hatte denselben Zweck wie alle Lockerungsmaßnahmen: Die Gefangenen sollten langsam an das Leben außerhalb des Gefängnisses herangeführt werden.
Denn auch Sicherungsverwahrte sind nicht untherapierbar. Daher sollen sie prinzipiell die Möglichkeit haben, irgendwann wieder in Freiheit leben zu können – natürlich nur, wenn sie sich so weit verändert haben, dass von ihnen keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit ausgeht. In solchen Fällen ist für den zuständigen Richter die Einschätzung des Täters durch Sachverständige wichtig. Deren Beurteilung der Rückfall-Wahrscheinlichkeit ist wichtig für seine Entscheidung.
Gefängnisse, die Lockerungsmaßnahmen wie die besagte Gruppenausführung für Sicherungsverwahrte planen,
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