Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
Störungen solche Folgen haben kann, können Sie sich vielleicht vorstellen, was sich abspielt, wenn ein Straftäter, der unter anderem aufgrund eines positiven Prognosegutachtens entlassen wurde, rückfällig wird – was selten der Fall ist. Entlassungsprognosen zu erstellen, ist auch deswegen kein besonders beliebter Job.
Entlassungsprognosen sollen Tätern, die sich durch Therapie tatsächlich dauerhaft stark verändern und nie wieder rückfällig werden, die Möglichkeit eröffnen, nach dem Abbüßen ihrer Schuld in Haft ein neues Leben zu beginnen. Das bedeutet, ein forensischer Psychologe oder Psychiater, der eine Entlassungsprognose schreibt, kommt nach sehr umfangreicher Prüfung eines Falles unter Umständen zu dem Ergebnis, dass die Rückfall-Wahrscheinlichkeit »eher gering« oder »sehr gering« ist. Andernfalls wären Entlassungsprognosen unnötig.
Doch ein Gutachter, der so die Rückfall-Wahrscheinlichkeit eines Täters einschätzt, geht damit jedes Mal auch ein persönliches Risiko ein. Wie ich bereits erklärt habe, gibt es bei solchen Entscheidungen nie absolute Sicherheit.
In den seltenen Fällen, wo Straftäter entlassen wurden und wieder eine schwere Straftat begingen, stellten Medienberichte die forensischen Gutachter oft als Sündenböcke dar und schlachteten die tragischen Einzelfälle für ihre eigenen Interessen aus. Überschriften wie »Schämt euch, ihr Gutachter!« bewirken in der öffentlichen Meinung viel mehr als alle sachlichen Informationskampagnen.
Vielleicht sollte man dazu aber wissen, wie die Arbeitswirklichkeit der Boulevardjournalisten aussieht. Sie stehen unter massivem Druck, täglich irgendwelche möglichst sensationellen Geschichten zu liefern. Diese Geschichten sollen einerseits die Leser emotionalisieren und ihnen andererseits den Eindruck vermitteln, ganz aktuell informiert zu sein.
Die ehemalige Boulevardjournalistin Kerstin Dombrowski gibt in ihrem Buch »Titten, Tiere, Tränen, Tote« Einblicke in den Arbeitsalltag von Boulevardjournalisten. Diese seien täglich auf der Jagd nach sensationellen Themen und arbeiteten dabei nach der Regel: »Haste keins, erfinde eins.«
Es ist extrem schwer, mit sachlichen, faktenorientierten Informationen gegen emotionalisierende Meinungsmache anzukommen. Dies beschreibt auch Kerstin Dombrowski aus ihrer Erfahrung: Das Gefühl nimmt man mit, auch wenn man nicht alles Wort für Wort glaubt. Man ist in jedem Fall emotional berührt.«
Die vielen Vorurteile und Fehlinformationen, die durch eine solche Berichterstattung genährt werden, haben unter anderem auf Wahlen und somit auch auf die Gesetzgebung starken Einfluss. Ein Beispiel dafür war die vorschnelle, chaotische und damit sinnlose Flut von Gesetzesverschärfungen, vor allem zur Sicherungsverwahrung nach Kanzler Schröders schon beschriebener cleverer Selbstinszenierung 2001.
Im Ergebnis brachten die Verschärfungen nicht mehr Sicherheit, sondern viel Zeit- und Geldverschwendung, bis der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2009 mit einer Rüge Einhalt gebot. Es folgte jede Menge Arbeit für das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, das 2011 entschied: Die zusammengeschusterten Gesetze zur Sicherungsverwahrung sind verfassungswidrig. Karlsruhe gab der Bundesregierung zwei Jahre Zeit, um die Sicherungsverwahrung komplett neu zu regeln. Damit dabei nichts mehr schiefgehen konnte, bekam die Bundesregierung klare Vorgaben, was sie dieses Mal dabei beachten musste. Noch mehr Zeit und Geld wurde dafür aufgewendet, alles wieder umzustellen.
Fazit: Zeit und Geld hätten wesentlich sinnvoller genutzt werden können, wenn Medien, Politiker und Bürger mehr an sachlichen Fakten als an emotionalen Stammtisch-Parolen interessiert gewesen wären.
Fehlannahme 4:
Das Leben in Haft ist wie ein Urlaub.
Die schönsten Träume von Freiheit
werden im Kerker geträumt.
(Friedrich Schiller)
Stellen Sie sich bitte vor, Sie selbst würden längere Zeit unter Haftbedingungen leben:
Ihr kleines Reich
Falls Sie unter Klaustrophobie leiden, ist das Gefängnis der richtige Ort, um diese Angst mit der Zeit loszuwerden. Die Zelle, in der Sie leben, ist ein Raum mit einer Grundfläche zwischen 6,11 und 9 Quadratmetern. Wenn Sie Glück haben, leben Sie darin allein. Sitzen Sie in einem der vielen überfüllten Gefängnisse, leben Sie zu zweit in einer Zelle, die dann – allerdings nur im Idealfall – etwas größer ist.
Auf der einen Seite ist ein vergittertes Fenster, auf der anderen
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