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Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Titel: Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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im krassen Gegensatz zu vielem, was normale Menschen unwillkürlich fühlen und denken. Das ist auch einer der Gründe dafür, warum Psychopathen im Alltag als solche meist nicht erkannt werden: Wenn sie etwas Unangemessenes sagen oder tun, dann finden ihre normalen Mitmenschen oft eine Erklärung dafür – nur nicht die tatsächlich zutreffende. Weil ein normaler Mensch sich die Kluft zwischen »normalem Schein« und »psychopathischem Sein« nicht vorstellen kann, ist es ihm nicht möglich, die psychopathischen Gedanken und Gefühle nachzuvollziehen geschweige denn vorherzusehen.
    Die meisten normal fühlenden Menschen empfinden Christians Aussage zum Thema Fremdgehen als empörend und moralisch falsch. Warum empfindet Christian nicht so? Um dies zu verstehen, muss man die einzelnen Bestandteile seiner Aussage genau unter die Lupe nehmen:
    Er betrügt seine Freundin. Dieses Verhalten wird in den meisten Kulturen als moralisch falsch angesehen – auch wenn Schätzungen zufolge mindestens die Hälfte aller Menschen in Deutschland irgendwann in ihrem Leben fremdgeht. Menschen, die fremdgehen, wissen aber, dass sie ihren Partner damit verletzen, wenn er es erfährt. Viele Fremdgänger empfinden daher mehr oder weniger starke Schuldgefühle. Spätestens wenn der Partner sie traurig und wütend damit konfrontiert, dass er von dem Seitensprung oder der Affäre erfahren hat, fühlt sich die ertappte Person oft schlecht.
    Christian aber tut nicht nur etwas, das gesellschaftlich als »falsch« angesehen wird, er empfindet auch nicht die geringsten Schuldgefühle dabei. Dies für sich genommen bewerten viele Menschen zwar schon als nicht besonders sympathisch, doch auch Fremdgänger ohne ausgeprägt psychopathische Eigenschaften fühlen sich nicht immer schuldig. Oft entlasten nicht-psychopathische Fremdgänger ihr Gewissen, indem sie ihrem Partner eine Mitschuld für ihr Fremdgehen geben. Sie fühlen sich beispielsweise in ihrer Beziehung vernachlässigt oder sexuell nicht befriedigt. Deshalb entschuldigen sie sich selbst damit, dass sie sich nicht so verhalten würden, wenn ihr Partner sich mehr Mühe in der Beziehung geben würde. Im Gegensatz dazu schiebt Christian die Ursache für sein Fremdgehen nicht seiner Freundin in die Schuhe, es ist für ihn vielmehr völlig selbstverständlich, dass er sich so verhält. In einer Partnerschaft treu zu sein, kommt für ihn überhaupt nicht in Frage, und er kann nicht nachempfinden, warum andere Menschen Treue als etwas Angenehmes und Schönes erleben.
    Die weiteren Bestandteile von Christians Aussage wirken auf normale Menschen noch wesentlich befremdlicher. Es scheint, als würde seine Auffassung von »richtig« und »falsch« im genauen Gegensatz zum Empfinden der meisten Menschen stehen: Er erwartet von seiner Freundin, dass sie ihm vertraut und glaubt. Dass sie umgekehrt von ihm erwartet , sie nicht zu belügen und zu betrügen, empfindet er für sich nicht im Entferntesten als verbindlich. Da er es keineswegs als »falsch« empfindet, untreu zu sein und somit das Vertrauen seiner Freundin zu hintergehen, hält er seine diesbezüglichen Lügen ebenso wenig für »falsch«. Aus seiner Sicht tut er für seine Freundin etwas »Gutes«, indem er sie belügt: Er beschützt sie.
    Christian ist bewusst, dass seine Freundin unter der Wahrheit leiden würde; wenn er lügt, wird sie also nicht verletzt. Wie er im weiteren Gespräch mit mir äußerte, sieht er das Problem nicht darin, dass er fremdgeht, sondern dass seine Freundin »dies nicht verkraftet«. Aus seiner Sichtweise würde sie – sollte sie die Wahrheit erfahren – also nicht dadurch verletzt werden, dass er sich »falsch« verhält, sondern dadurch, dass sie mit dem, was er tut, nicht »richtig« umgehen kann.
    Indem er sie anlügt, beschützt er sie davor, aufgrund ihrer eigenen »Unfähigkeit« verletzt zu werden. Daraus leitet er ab, dass er von ihr erwarten kann, seine gut gemeinten Lügen zu glauben. Wenn sie dies nicht mehr tun sollte, weil sie anderen mehr glaubt als ihm, wäre sie aus seiner Sicht selbst schuld an ihren daraus resultierenden schlechten Gefühlen. Frei nach dem Motto: »Wer die Wahrheit nicht verträgt, der sollte auch nicht danach suchen«, sieht er keinen Grund, sich beim Auffliegen seiner Lügen auch nur im Entferntesten schuldig zu fühlen.

Spielregeln psychopathischer Entscheidungen
    Diese Art zu denken und zu fühlen – beziehungsweise eben nicht zu fühlen – können normale Menschen

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