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Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Titel: Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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Empfindungen immer sehr schwach bleiben, können sie Gefühle, die sich ähneln – wie beispielsweise Traurigkeit und Enttäuschung –, nicht gut unterscheiden.
    Wenn man sich das Gefühlsleben eines normalen Menschen als einen Malkasten mit vielen unterschiedlichen, leuchtenden Farben vorstellt, dann fehlt Psychopathen dafür die Vorstellungskraft. Deshalb fällt es ihnen sehr schwer, aus der feinen Mimik anderer auf die dahintersteckenden Gefühle zu schließen. Selbst Gesichtsausdrücke, die eigentlich eindeutig sind, können sie kaum den passenden Gefühlen zuordnen.
    Typisch psychopathisch Teil 1:
»Ich lese gerne andere Menschen«
    Meine mittelgradig psychopathischen Interviewpartner beschrieben dieses Phänomen weitgehend übereinstimmend. Interessanterweise entwickelten zwei von ihnen (Alexander und Christian) die gleiche Strategie, um dieses Problem zu verbergen:
    Beide sprechen mit Menschen, die ihnen kaum oder gar nicht bekannt sind, lieber erst persönlich als am Telefon. In persönlichen Gesprächen beobachten sie ihr Gegenüber genau. Dabei achten sie besonders auf Mimik und Gestik. Da sie dies jahrelang geübt haben, sind sie inzwischen ziemlich gut darin, zu deuten, was bei dem anderen vorgeht.
    Christian sagt dazu: »Ich lese die Menschen.« Damit beschreibt er seine Fähigkeit, schnell und genau einzuschätzen, welche Gefühlsregungen er mit seinem Verhalten beim Gegenüber auslöst. Für jemanden, der selbst kaum jemals deutliche Gefühle empfindet, gelingt es Christian erstaunlich gut, die seiner Mitmenschen zu erkennen und gezielt zu beeinflussen.
    Allerdings sagen Alexander und Christian auch, dass sie bis heute ganz besonders aufmerksam beobachten müssen, um kurz aufflackernde, feinere, schwächere Gefühle ihrer Mitmenschen wahrzunehmen. Auffälligerweise berichten beide, dass sie als Partnerinnen Frauen bevorzugen, die eher starke Gefühle zeigen. Daher ist es nicht überraschend, dass beide auch jahrelange Beziehungen mit Borderlinerinnen hatten und noch haben.
    Borderline ist eine Störung der Persönlichkeit, bei der die Betroffenen – neben vielen anderen Problemen – unter Stimmungsschwankungen und sehr heftigen Gefühlen leiden, die sie nur schwer steuern können. Borderliner sind, was ihre Gefühle angeht, also das genaue Gegenteil von Psychopathen. Alexander und Christian sagen, dass es für sie weniger anstrengend als für normale Menschen und oft sogar angenehm ist, starke Gefühlsausdrücke ihrer Partnerinnen mitzuerleben, gerade weil sie selbst nur wenig empfinden. Anscheinend ist es für sie, die selbst nur wenig empfinden, besonders interessant, Gefühlsausbrüche bei anderen zu beobachten; so wie es für einen Fernsehzuschauer interessant ist, Bilder von fremden Ländern zu sehen, in denen er selbst nie war.

Typisch psychopathisch Teil 2:
»Mir fehlen die richtigen Worte«
    Weil Psychopathen »empfindungsschwach« für Gefühle sind, benutzen sie auch die entsprechenden Begriffe manchmal falsch oder verstehen sie bei anderen nicht richtig. Wenn sie selbst etwas empfinden, ist das Gefühl meist nicht sehr stark und schnell verflogen. Fragt man sie dann, was sie gerade fühlen, fällt es ihnen auffallend schwer, die passenden Worte zu finden.
    Christian beschreibt unterschiedliche unschöne Gefühle auf Nachfrage meist zunächst mit dem Wort »unangenehm«. Weil er sich sonst sehr durchdacht und genau ausdrückt, war ich zunächst überrascht, wie schwer es ihm fällt, seine eigenen Gefühle zu beschreiben. Manchmal scheint er nicht zu verstehen, wo der Unterschied zwischen ähnlichen Gefühlen sein soll.
    So verwechselte er mehrmals die Worte »Traurigkeit« und »Trauer«, als ich ihn mit konkreten Nachfragen bat, eine für ihn sehr unangenehme Situation zu beschreiben. Diese Gefühle sind sich zwar ähnlich, doch während Menschen aus ganz verschiedenen Gründen traurig werden können, empfinden sie Trauer nur beim Verlust von etwas, das ihnen viel bedeutet. Mir fiel in einem anderen Gespräch auf, dass Christian die Worte »traurig« und »enttäuscht« verwendete, als bedeuteten sie genau dasselbe. Derartige unangenehme Gefühle benennt er nur ungern und fasst sie, wenn es um ihn selbst geht, oft mit »ich war melancholisch« zusammen.

Typisch psychopathisch Teil 3:
»Die Leute sehen nicht, was hinter meinen Masken steckt«
    Um wegen ihrer »flachen« Gefühle nicht zu sehr aufzufallen, gewöhnen sich psychopathische Menschen an, zur jeweiligen Situation den passenden

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