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Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Titel: Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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Menschen eine sehr unglückliche Kindheit. Er hasste beide Eltern, die ihm keinerlei Liebe entgegenbrachten, sondern ihn stattdessen vor allem beschimpften und körperlich schwer misshandelten. Dabei war der Vater noch wesentlich bösartiger und aggressiver als die Mutter.
    Ein Kindergehirn in dieser Lebensumgebung ist praktisch in ständigem »Alarmzustand«, der Stress ist unerträglich und kann nicht »heruntergeregelt« werden. In dieser Situation greift das Gehirn nur noch auf die ältesten Notfallprogramme aus der Menschheitsentwicklung zurück und schwankt daher permanent zwischen »fliehen«, »kämpfen« und »erstarren«. Weil die Alarmanlage während einer solchen Kindheit ständig »anspringt«, wird sie für den Rest des Lebens extrem überempfindlich. Das bedeutet, alles was auch nur entfernte Ähnlichkeit mit den traumatischen Erlebnissen der Kindheit hat, löst sofort den Alarm und eine der alten Notfallreaktionen aus.
    Als Kuklinski älter wurde, machte er die Erfahrung, dass das Notfallsystem »Kämpfen« in seiner Lebensumgebung das für ihn beste Ergebnis brachte: Er konnte damit verhindern, dass ihn jemals wieder jemand zu einem »Opfer« machen und in eine unerträgliche Situation bringen konnte. Was gut funktioniert und sich gut anfühlt, das wiederholen wir Menschen ganz selbstverständlich unwillkürlich. Deshalb begann dieses Notfallsystem – ohne dass Kuklinski das jemals bewusst wurde – die meisten seiner Handlungen zu beeinflussen.

    Kuklinski im Grundschulalter.
    Wenn er sich durch irgendjemanden oder irgendetwas auch nur im Entferntesten kritisiert, abgewertet oder bedroht fühlt – so wie er es als Kind immer wieder vor allem durch seinen Vater erlebte –, dann schaltet seine überempfindliche innere Alarmanlage schnell aufflammende, heftige Wut an. Diese Wut wiederum löst das alte Notfallsystem »Kämpfen« aus und er bekommt große Lust, die Ursache für den Alarm auszuschalten, also zu töten. Diese Ursache war in seiner Kindheit meistens sein Vater, gegen den er sich lange nicht wehren konnte. Doch irgendwann wurde Kuklinski körperlich stark genug. Das Töten löst – wovon er beim ersten Mal selbst überrascht war – in ihm ein gutes Gefühl aus. Es lässt ihn Macht und Kontrolle über das Leben anderer Menschen und somit auch über sein eigenes Leben spüren. Dieses Gefühl hatte er als Kind nie, weil er seinen Eltern machtlos und hilflos ausgeliefert war. Deshalb wurde das Ergebnis seines »Kampf-Notfallsystems«, das Töten, für ihn zur Sucht.
Wie Kindheitserlebnisse den Bau des Gehirns verändern
    Gehirne von Menschen, die in ihrer Kindheit traumatisiert wurden, sehen tatsächlich oft sogar etwas anders aus als die anderer Menschen. Das bedeutet, dass die Erlebnisse den Aufbau des Gehirns während der Kindheit beeinflusst haben. Eine wichtige Ursache dafür, dass schlimme Erlebnisse den Aufbau des kindlichen Gehirns tatsächlich verändern können, sind Stresshormone – Katecholamine, Glutamat und Kortisol. Die sind eigentlich dazu da, dass unser Körper in gefährlichen Situationen sofort alle seine »Energiereserven« freisetzt und wir wach und schnell reagieren, also wegrennen oder kämpfen können, um uns zu retten. Die Stresshormone veranlassen uns, so zu handeln, wie die Notfallsysteme aus der frühen Zeit der Menschheitsentwicklung es vorsehen. Sie werden ausgeschüttet, wenn unsere innere Alarmanlage anspringt, unser Gehirn also »entscheidet«, dass wir einer Gefahr ausgesetzt sind.
    Wenn ein Kind von klein auf in einem Elternhaus lebt, wo die Eltern es körperlich misshandeln, vernachlässigen oder sexuell missbrauchen, dann wird die »Alarmanlage« – wie bei Richard Kuklinski – im Kindergehirn immer wieder und für lange Zeit angeschaltet. Dadurch werden auch Stresshormone immer wieder in großen Mengen ausgeschüttet. Das Kind bekommt praktisch eine dauernde »Überdosis« ab. Leider wirken sich Stresshormone in zu großen Mengen ungünstig auf unser Gehirn aus. Sie bewirken dann, dass einerseits Nervenzellen zerstört werden, dass sich andererseits neue Nervenzellen teilweise langsamer als normal bilden. Das Gehirn wird dann gewissermaßen nach und nach von den körpereigenen Stresshormonen vergiftet. Für ein Kindergehirn, das noch im Aufbau steckt, ist die Wirkung verheerend.
    Besonders tragisch dabei: Vor allem Gehirnteile, die wir eigentlich brauchen, um mit gefährlichen Situationen und Belastungen umzugehen und um »gesunde« Beziehungen zu

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