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Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Titel: Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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psychopathische Menschen ausmachen. Sie haben auch erfahren, dass schwierige Erlebnisse in der Kindheit bei manchen Menschen eine psychopathische Störung auslösen können. Doch nicht nur eine schwierige Kindheit, sondern auch eine schwere Kopfverletzung kann die Persönlichkeit eines Menschen »psychopathisch« verändern. Ob durch einen Unfall oder durch eine schwierige Kindheit verursacht – wenn ein Mensch eine solch auffällige Persönlichkeit entwickelt, dann sind einige Teile seines Gehirnes anders als bei anderen Menschen.
Mit einem Schlag ein anderer Mensch
    Dies wurde Wissenschaftlern zum ersten Mal durch den berühmt gewordenen Fall des Phineas Gage klar. Gage arbeitete als Vorarbeiter einer amerikanischen Eisenbahngesellschaft, für die er unter anderem Sprengungen beim Streckenbau durchführte. Am 13. September 1848 ging eine solche Sprengung schief, und dem Fünfundzwanzigjährigen bohrte sich eine über einen Meter lange, etwa drei Zentimeter dicke Eisenstange durch den Schädel. Die Stange traf seinen Kopf von links unten, bohrte sich unter seinem Wangenknochen durch seinen Oberkiefer, durchstach einen Teil seines mittleren Vorderhirns und trat oben am Kopf wieder aus. Erstaunlicherweise blieb Gage während des Unfalls bei Bewusstsein und konnte sich auch später an alles erinnern.
    Wie durch ein Wunder überlebte er und schien schon nach wenigen Wochen wieder gesund zu sein, nur auf dem linken Auge blieb er blind. Ansonsten war er wieder im Vollbesitz seiner Kräfte: Seine Sprache, seine Bewegungen und seine Intelligenz hatten sich nicht verändert. Doch bald fiel auf, dass Gage ein anderer Mensch geworden war. Vor dem Unfall war er als ausgeglichen, freundlich und verantwortungsvoll bekannt. Doch nun schien seine Persönlichkeit sich ins Gegenteil verwandelt zu haben. Er wurde launisch, provozierte andere, tat, wonach ihm gerade war, war unzuverlässig und hielt sich nicht mehr an gesellschaftliche Regeln. Gage wurde buchstäblich mit einem Schlag zum »Grundmodell« eines Psychopathen.
    Diese Persönlichkeitsveränderung war so auffällig, dass sein Fall durch die Beschreibungen seines Arztes bekannt wurde. Mit der Zeit beschrieben immer mehr Mediziner Fälle, in denen Menschen sich Verletzungen am Vorderhirn zuzogen und anschließend psychopathische Eigenschaften entwickelten. Am deutlichsten veränderten sich Menschen, wenn sie diese Hirnverletzungen erlitten, bevor sie anderthalb Jahre alt waren. Das menschliche Gehirn wird aber nicht nur durch körperliche Verletzungen wie im Fall von Phineas Gage so stark beeinflusst.
Wenn Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen
    Auch was wir erleben, kann in unserem Gehirn wichtige, bleibende Veränderungen bewirken – vor allem so lange es noch dabei ist, sich zu entwickeln. Deshalb beeinflussen vor allem Dinge, die wir als Kinder erleben, wie unser erwachsenes Gehirn später funktioniert. Während unserer Kindheit baut sich unser Gehirn immer weiter auf, Nervenzellen werden gebildet und miteinander verschaltet.
    Macht ein Kind eine extrem unangenehme Erfahrung, während sein Gehirn noch nicht so weit entwickelt ist, dass es diese sinnvoll verarbeiten kann, dann entsteht eine »Traumatisierung«. Das bedeutet vereinfacht gesagt: Während das Kind etwas sehr Schlimmes erlebt, geht in dem Bereich seines Gehirns, der Gefühle verarbeitet, eine Art »innere Alarmanlage« an. Die soll eigentlich dafür sorgen, dass wir Menschen in gefährlichen Situationen sofort etwas tun, um uns zu retten. Geht diese Alarmanlage jedoch an, und das Kind kann die traumatische Situation trotzdem nicht beenden, sein Gehirn hat aber auch noch nicht genug Fähigkeiten, um solch starken emotionalen Stress wieder »herunterzufahren«, dann kann das dauerhafte Folgen haben.
    Die Alarmanlage läuft dann extrem »laut« immer weiter, immer mehr Teile des Gehirns schalten auf »Alarmzustand«. Das hat Auswirkungen, die für das weitere Leben traumatisierter Menschen gravierend sind: Einerseits breitet sich das »Alarmsignal« bis in Gehirnbereiche aus, die schon früh während der Entwicklung der Menschheit angelegt waren. Das sind Hirnbereiche, die sehr grundlegende »Notfall-Reaktionen« auslösen, also solche, auf die »moderne« Gehirne eigentlich nicht mehr »ungefiltert« zurückgreifen, weil sie dafür besser geeignete Notfall-Programme haben. Diese »älteren« Gehirnbereiche lösen dann »Notfall-Reaktionen« wie »Kämpfen«, »Fliehen« oder – wenn beides nicht mehr geht

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