Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
bedrohen sollen, ich hab ihr nie etwas versprochen.«
Des Teufels Advokaten und der fast perfekte Mord
Eitelkeit … eindeutig meine Lieblingssünde!
(Der Teufel alias John Milton im Film »Im Auftrag des Teufels«)
Marta Russo ist eine auffallend attraktive, 22-jährige Jurastudentin im dritten Semester. Ihr Gesicht sieht aus wie das einer wertvollen Porzellanpuppe. Das lange Haar ist blond gefärbt, ihre graublauen Augen haben einen nachdenklichen, aber freundlichen Ausdruck. Sie studiert an der größten Universität Europas, der ältesten in Rom. Die »La Sapienza« hat einen hervorragenden Ruf, viele berühmte italienische Persönlichkeiten studierten und lehrten dort. Marta ist eine engagierte Studentin und hat eine vielversprechende Zukunft vor sich. Die intelligente, junge Frau ist glücklich verliebt in ihren Freund Luca, einen Techniker für Alarmanlagen. Sie wohnt noch bei ihren Eltern, mit denen sie sich gut versteht, ebenso wie mit ihrer Schwester. Ihr Leben scheint absolut perfekt zu sein.
Das Opfer: Marta Russo.
Alle, die Marta kennen, wissen, wie hilfsbereit sie ist. Jura studiert sie nicht, weil sie zu Geld und Macht kommen will. Ihr Wunsch ist es, Menschen damit zu helfen und vielleicht ein bisschen die Welt zu verbessern. Marta glaubt, dass sie als Juristin Menschen beistehen kann, die unverschuldet in eine Lage kamen, in der sie einen Anwalt brauchen. Unter den vielen Jurastudenten auf dem Campus ist sie eine der wenigen mit hohen Idealen. Ihrem Tagebuch vertraut sie an: »Wie gern würde ich mein Leben für andere geben, nur weiß ich nicht, wie man das macht.« Als sie dies schreibt, weiß Marta nicht, dass sie durch ihren Tod mehreren Menschen das Leben retten wird. Ebenso wenig kann sie ahnen, dass bald jeder in ihrem Heimatland ihren Namen und ihre Geschichte kennen wird. Marta wird ihr Leben für andere Menschen geben – jedoch auf andere Art, als sie es sich hätte vorstellen können.
Sei vorsichtig, was du dir wünschst – es könnte in Erfüllung gehen
Die Macht zu töten
könnte ebenso befriedigend sein
wie die Macht zu erschaffen.
(Brandon Shaw im Film
»Cocktail für eine Leiche«
von Alfred Hitchcock)
An einem warmen, sonnigen Freitagvormittag – dem 9. Mai 1997 – geht Marta mit ihrer Freundin Jolanda Ricci über den Campus. Die jungen Frauen betreten zwanzig vor zwölf eine Seitenstraße neben der juristischen Fakultät. Jolanda hört ein kurzes, dumpfes Geräusch. Da sackt Marta neben ihr zusammen. Marta muss gestürzt sein, glaubt Jolanda. Sie kniet sich sofort zu ihrer Freundin, die regungslos, mit geöffneten Augen, am Boden liegt. Ohne zu begreifen, was passiert ist, nimmt sie den schon schlaffen Körper in die Arme. Da sieht Jolanda Blut in Martas blondem Haar. Es tritt aus einem Loch hinter ihrem linken Ohr hervor. Jolanda gerät in Panik und schreit verzweifelt. Ein zufällig vorbeikommender Student ruft den Notarzt.
Der Rettungswagen trifft schnell ein und bringt Marta – die zu diesem Zeitpunkt noch am Leben ist – ins Krankenhaus. Dort wird klar, dass sie eine Pistolenkugel getroffen hat und die noch in ihrem Kopf steckt. Vier Tage lang wachen die Eltern, die Schwester und der Freund an Martas Bett, während sie im Koma liegt. Dann wird sie für tot erklärt. Die Ärzte fragen ihre Eltern, ob sie einer Organspende zustimmen. Die Eltern wissen, dass dies ein Wunsch war, den Marta bereits im Alter von elf Jahren geäußert hatte. Daher willigen sie ein. Martas Herz, ihre Leber und ihre Nieren retten anderen Menschen das Leben.
Niemand versteht, warum das alles passiert ist. Niemand hatte einen Grund, Marta zu töten. Sie hatte keine Feinde, keine Geheimnisse, es gibt nichts, was den Mord an ihr erklären würde. Niemand hat den Täter gesehen, zunächst bleibt sogar unklar, von wo der Schuss abgefeuert wurde. Die Ermittler, die Familie und die Öffentlichkeit sind ratlos.
Martas sinnloser Tod erregt großes Medieninteresse in Italien. Der Tatort wird zur Gedenkstätte, der Toten wird die Ehrendoktorwürde verliehen. Ihrer Trauerfeier wohnen über zehntausend Studenten und der Staatspräsident persönlich bei. Sogar der Papst betet öffentlich für Marta. Die ganze Geschichte ist einfach unglaublich, sie könnte einem Kriminalroman von Donna Leon entsprungen sein. Eine Elite-Universität als Ort des Verbrechens, eine bildhübsche, liebenswerte Studentin als Opfer, keine Verdächtigen, keine Tatwaffe, keine Zeugen und vor allem: kein Motiv.
Ein Mord, zu
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