Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
regelmäßig gestohlen. Michael brach sogar in Häuser ein. Später erzählte er mir, dass er das nur gemacht habe, um ein wenig Aufmerksamkeit und Anerkennung zu bekommen, die er zu Hause nie erfahren hatte. Auch meine jüngere Schwester Sarah lief immer wieder von zu Hause weg, übernachtete bei fremden Männern, um eine Unterkunft zu haben, stahl und kam sogar in Jugendarrest.«
Obwohl Tinas Mutter sich keinen Deut um das Wohlergehen ihrer Kinder scherte, wurde sie sehr wütend, wenn diese ihr einen Wunsch nicht erfüllten. Die Gefühle ihrer Kinder waren ihr auch dabei zutiefst egal. So ging sie nicht zur Taufe ihres Enkelsohnes, weil ihre Tochter sie nicht zur Patentante machen wollte. Als sei all dies nicht genug, benutzte Tinas Mutter ihre jüngsten Kinder ganz besonders, um sich nicht einsam zu fühlen. Auch hier machte sie sich – wie in allen anderen Dingen auch – nicht die geringsten Gedanken, wie es ihren Kindern dabei geht und was sie ihnen mit ihrem Verhalten antut. Da sie zuletzt längere Zeit ohne einen Partner lebte, begann sie ihren jüngsten Sohn zumindest emotional als »Ersatzpartner« zu missbrauchen, wie Tina schildert:
»Was für mich auch sehr schwer nachzuvollziehen ist, ist, dass mein jüngster Bruder Tim, bis Mutter ins Gefängnis kam, noch mit ihr in einem Bett geschlafen hat. Tim ist vierzehn, und das erscheint mir für sein Alter nicht normal zu sein, zumal genügend Räumlichkeiten vorhanden waren. Tim redet nicht über Probleme, er frisst alles in sich hinein.«
Dass die Mutter insbesondere Tim an sich band und sich von ihm die Aufmerksamkeit und Zuwendung holte, die ihr zu dieser Zeit fehlten, schilderte mir Tina auch in unseren Gesprächen. Manche psychopathischen Erwachsenen benutzen ihre eigenen Kinder oder in extremen Fällen sogar Kinder, die sie entführen, als »Ersatzpartner«. Diese sind für sie jedoch nichts anderes als Spielzeug, das ihnen gibt, was sie wollen. In der Öffentlichkeit sind besonders die Fälle von Natascha Kampusch und Josef Fritzl bekannt geworden. Obwohl Tinas Mutter an diese »Vorbilder« nicht entfernt heranreicht, ist ihre grundsätzliche Haltung anderen Menschen, vor allem ihren Kindern gegenüber, der Haltung der Täterin in den genannten Fällen ganz ähnlich: Sie befriedigt mit ihnen nur ihre eigenen Wünsche, ohne jegliche Rücksicht und ohne die geringsten Schuldgefühle.
Tina schildert sehr eindrücklich, wie sie ihre Mutter inzwischen sieht. Der liebevolle Anschein, den sich die Mutter nach außen gegeben hat, überdeckte nur schlecht, wie gleichgültig und grausam sie ihren Kindern gegenüber bis heute ist. Auch Tina hat das inzwischen durchschaut: »Selbst wenn man sich immer hinter einer Maske versteckt, wie unsere Mutter es tat, so erkennt man doch irgendwann das wahre Gesicht einer Person. Niemand kann sich ein ganzes Leben lang verstellen.«
Während die Mutter im Gefängnis saß, schrieb Tina ihr einen sehr bewegenden Brief. Hier einige Auszüge:
»Du machst dir gar keine Vorstellung davon, was du den Kleinen und dem Rest deiner Kinder antust. Du hast gesagt, du hättest eigentlich in die Klapse gehen müssen, um all das zu verarbeiten, was deine Kinder dir angetan haben. Ich habe lange darüber nachgedacht und ich glaube, dass es das Beste gewesen wäre, wenn du das getan hättest. Nicht nur Sarah machte früher den Anschein, als ob sie zwei Gesichter hätte, sondern auch DU. Manchmal kannst du so nett und lieb sein und sagst, du liebst deine Kinder über alles. Dann gibt es das böse Gesicht, das Dinge sagt wie: ›Wenn du nicht machst, was ich will, darfst du die Kleinen nicht mehr sehen.‹ Weißt du, wie oft ich alleine in dieser Situation war? Weißt du, wie oft ich darüber traurig war?
Dass du mich damit verletzt, ist die eine Sache. Aber die Kinder, Tim und Linda, die beiden leiden noch viel mehr. Die beiden lieben ihre Familie. Wie kannst du als Mutter behaupten, dass du sie liebst und nur das Beste willst? Sag mir wie! Wenn du ihnen gleichzeitig Messer in den Rücken rammst. Ich verstehe es nicht.
Ich denke, du solltest einmal in den sauren Apfel beißen und deine Strafe absitzen. Du hast die Scheiße gebaut, kein anderer. Aber alle anderen müssen es mit ausbaden, und du merkst es noch nicht mal. ›Meine Kinder können auch mal was für mich tun‹, waren doch deine Worte, oder??? Was hast du eigentlich für deine Kinder getan??? (…) Dass unsere Kindheit Scheiße war, das weißt du. (…) Kind sein, wann
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