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Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Titel: Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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hat.
    (Jean Valjean in »Les Miserables«
– nach dem Roman von Victor Hugo)
    Wenn schwere Straftäter eine Therapie machen, müssen sie sich lange und intensiv mit den schlimmsten Situationen ihres Lebens, mit ihren Schwächen und Fehlern auseinandersetzen – zunächst in Einzelsitzungen mit ihrem Therapeuten, später in Gruppensitzungen vor Mitgefangenen.
    Sie legen nach und nach alles über sich und ihr Leben offen, was sie immer versteckt haben und selbst am liebsten vergessen wollten. Dabei werden sie weder von ihren Therapeuten noch von den Mitgefangenen in der Gruppe mit Samthandschuhen angefasst. Die Themen, um die es während der Therapie geht, sind ebenso heftig wie ihre ungeschönte Aufarbeitung. Da wird nicht mit blumigen Worten um den heißen Brei herumgeredet. Unangenehme Dinge werden beim Namen genannt, manchmal in einer Deutlichkeit, die ich hier nicht wiedergeben möchte.
Sich den eigenen Dämonen stellen
    Nimm ein Auge für ein Auge.
    Verwandle dein Herz in Stein.
    Das ist alles, wofür ich lebte.
    Das ist alles, was ich kannte.
    Ich verliere jeden Halt.
    Nacht bricht über mich herein.
    Während ich in die Leere starre,
    in den Strudel meiner Schuld.

    (Jean Valjean in »Les Miserables«
– nach dem Roman von Victor Hugo)
    Stellen Sie sich vor, Sie wären ein nicht einmal schwerer Straftäter und müssten Woche für Woche vor einer Gruppe Ihre tiefsten Geheimnisse offenbaren. Alles, wofür Sie sich zu Tode schämen, alles, was Sie furchtbar traurig macht, alles, was Ihnen wirklich Angst macht.
    Ich erlebe in der Sozialtherapeutischen Anstalt immer wieder, wie Täter vor der Therapiegruppe von ihren Gefühlen überwältigt werden. Wir reden hier von gestandenen Männern, die versuchen, im Knast klarzukommen, indem sie möglichst hart tun. Ein Mann, der seine Partnerin während eines heftigen Streits ungewollt getötet hatte, berichtete von seinem Haftaufenthalt vor der Sozialtherapeutischen Anstalt:
    »Du darfst im Knastalltag keine Schwäche zeigen. Zeigst du Schwäche, bist du sofort das Opfer. Das macht alles noch sehr viel schlimmer. Das willst du auf keinen Fall. Ich hab mich jeden Tag zusammengerissen und auf cool gemacht.
    Dass ich Anna tatsächlich getötet hatte, mich nicht mal wirklich daran erinnern konnte – ich hab es nicht begriffen. Wie konnte ich das tun? Mein Leben lag total in Trümmern, alles war ein einziger Albtraum. Ich konnte nicht glauben, dass das alles Wirklichkeit ist.
    An all das durfte ich einfach nicht denken, während ich mit den anderen Gefangenen zusammen war. Nachts, alleine in meiner Zelle, kamen dann alle Gedanken auf einmal. Dann habe ich geweint. Stundenlang. Morgens musste ich wieder hart sein und das alles wegdrücken.«
    Was dieser Mann erzählt, ist kein Einzelfall. Sie sollen kein Mitleid mit ihm haben. Sie sollen verstehen, dass Knast kein Ferienlager ist und Straftätertherapie kein weichgespültes Kaffeekränzchen.
    Vielleicht können Sie sich vorstellen, wie extrem ungern schon jeder »normale« Mann vor einer Gruppe anderer Männer über die dunkelsten Facetten seines Lebens und seiner Person sprechen würde. Die vielen Täter, die ihre Therapie bis zum Ende durchhalten, müssen dies immer wieder tun. Und egal wie viele Sitzungen sie schon hinter sich haben – sie werden nicht angenehmer.
    Stellen Sie sich einen schweren Straftäter vor, der während einer Gruppentherapie so wütend auf sich wird, dass er sich selbst verzweifelt anschreit. Stellen Sie sich einen harten Kerl vor, der vor den anderen Teilnehmern wie ein kleines Kind weint, weil er die Vergangenheit nicht ändern kann. Stellen Sie sich einen coolen Typ vor, der sich wegen seiner Schwächen so sehr schämt, dass er heftig zu schwitzen beginnt, während sein Herz rast und er kaum weitersprechen kann. Nicht jede Sitzung sieht so aus. Doch wenn ein Straftäter seine Therapie wirklich komplett durchzieht, kommt er früher oder später an Punkte, wo er nicht mehr vor sich selbst wegrennen kann. Ich habe viele sehr unterschiedliche Männer im Knast diesen Weg gehen sehen.
Der neue Weg
    Er sagte mir, dass ich eine Seele habe.
    Woher weiß er das?
    Welche Haltung kommt da, um mein Leben zu verändern?
    Gibt es einen anderen Weg für mich zu gehen?

    (Jean Valjean in »Les Miserables«
– nach dem Roman von Victor Hugo)
    Jene, die diesen Weg gehen, tun es nicht, um früher entlassen zu werden. Manche verzichten sogar auf die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung, weil sie ihre Therapie

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