Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
sei und warum. Er sei sehr unglücklich gewesen in seinem Leben vor der Haft. Inzwischen komme er sehr viel besser mit sich selbst klar. Er habe gelernt, auch für kleine positive Dinge im Haftalltag dankbar zu sein.
Von sich aus sprach er auch über seine starken Schuldgefühle. Mit denen würde er bis zu seinem Tod leben müssen. Deshalb sei er auch nicht verbittert über die dreißig Jahre, die er bisher in Haft gesessen habe. Es sei richtig gewesen, andere Menschen vor ihm zu schützen, und es sei richtig gewesen, ihn hart zu bestrafen. Er sagte, auch die Frauen, die er vergewaltigt hatte, müssten für den Rest ihres Lebens mit dem Grauen leben, das er ihnen angetan hatte. Diese Erkenntnis habe er erst während der Therapie emotional an sich herangelassen. Es sei hart zu begreifen, dass er dies niemals ändern könne, egal wie sehr er sich selbst verändert habe. Als er davon sprach, war er sichtlich betroffen. Mit dieser Schuld zu leben, wenn man sie wirklich begreife, daran könne man sich nie gewöhnen, die werde man immer mit sich tragen.
Er wisse genau, wer er damals als junger Mann war, und es sei gut, dass er so werden konnte, wie er jetzt ist. In der Sozialtherapeutischen Anstalt zu landen, sei das Beste gewesen, was ihm passieren konnte. Dies habe ich später auch von anderen Gefangenen gehört, meist in der »Abschlusssitzung« vor ihrer Entlassung, wenn sie sich von ihrer Gruppe und ihren Therapeuten offiziell verabschiedeten. Wenn man Gefangene jahrelang in der Therapie erlebt hat, dann kennt man ihre Reaktionen und ihre Körpersprache sehr gut. Ich bin immer wieder beeindruckt, wenn Gefangene bei ihrem Abschied in der Gruppe so offensichtlich bewegt sind.
Der ältere Mann sagte, er sei sehr froh darüber, dass einige Menschen freiwillig und aus persönlicher Überzeugung mit Tätern wie ihm arbeiten. Ich sei ja außerdem noch sehr jung. Es beeindruckte ihn, dass ich in meinem Alter nicht nur gezielt ein Praktikum in einer solchen Einrichtung gesucht hatte, sondern jetzt auch freiwillig meine Zeit mit den Gefangenen verbrachte. Eine kleine, junge Frau auf einem Flur voller schwerer Straftäter, so völlig ohne Angst und ohne negative Gefühle, obwohl ich ja von vielen dort inzwischen wusste, was sie getan hatten. Er sagte, ich solle wissen, dass Menschen wie er sehr dankbar seien für Menschen wie mich, die sie nicht direkt abschreiben.
Das war eine der Situationen im Knast, die ich nie vergessen werde. Es war das erste Gespräch dieser Art, das ich führte, und es blieb nicht das einzige. Dieser Mann hatte nichts davon, so mit mir zu sprechen. Ich hatte als kleine Praktikantin nicht den geringsten Einfluss darauf, was mit ihm in Zukunft passieren würde. Die Straftäter in solchen Einrichtungen, die sich wirklich auf diese Art durch Therapie verändern, sind einfach aufrichtig dankbar. Das immer wieder zu erleben, ist eine der größten Früchte dieser Arbeit.
In dieser Welt gibt es keine vernünftige Alternative
Viele Menschen sind der Meinung: »Täter, die besonders schwere Straftaten begangen haben, haben kein Recht auf ein neues Leben nach der Haft« – aber kein Staat der Welt besitzt die finanziellen Mittel, um alle diese Straftäter bis zu ihrem Tod unter Verschluss zu halten.
Auf dieses Argument folgt von manchen gerne das Gegenargument: dann eben die Todesstrafe. Aber auch dabei gibt es – ganz abgesehen davon, ob man, wie ich, die Todesstrafe ablehnt oder nicht – zwei wichtige Probleme:
Erstens spart man damit kein Geld, zumindest nicht, wenn man den schweren Straftätern einen fairen rechtsstaatlichen Prozess ermöglichen will. Dies beweisen Zahlen aus den USA. Dort kostet ein Prozess, in dem die Todesstrafe verhängt werden kann, mehr, als es kosten würde, den Täter bis zu seinem Lebensende in Haft zu lassen.
Zweitens fallen der Todesstrafe bis heute sehr viele Unschuldige zum Opfer. Und dies auch in Staaten, wo ihnen nach internationalen Standards ein »fairer« Prozess gemacht wurde. In den USA wurden in den letzten vierzig Jahren 142 zum Tode verurteilte Menschen – teilweise nur Stunden vor ihrem Hinrichtungstermin – entlassen, weil ihre Unschuld doch noch bewiesen werden konnte. Viele von ihnen verdanken diese Rettung DNA-Untersuchungen. Wie viele Menschen im selben Zeitraum in den USA hingerichtet wurden, nur weil sie ihre Unschuld nicht beweisen konnten, weiß niemand. Sicher ist: Die Fehlerquote ist viel zu hoch.
Es gibt nur eine vernünftige Möglichkeit, in
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