Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
Gefängnisinsassen verantwortlich für mehr als die Hälfte der allerschwersten Verbrechen wie Mord und wiederholte Vergewaltigung.
Dass stark ausgeprägte Psychopathen besonders viele sehr schwere Verbrechen begehen, war nicht der einzige Grund, warum Hare seine Checkliste eigens für Gefängnisinsassen entwickelte. Viele wichtige Entscheidungen, die forensische Gutachter und Therapeuten treffen, hängen davon ab, ob und in welchem Ausmaß ein Täter psychopathisch ist. Wird ein stark psychopathischer Straftäter nicht als solcher erkannt, kann das katastrophale Folgen haben. Ein extremes Beispiel dafür ist der Fall Rodney Alcala. Psychopathen werden sehr viel häufiger rückfällig als andere Straftäter. Das muss ein Experte berücksichtigen, der einschätzen soll, wie gefährlich ein Täter in Zukunft sein wird.
Sicherungsverwahrung – Ein Sonderopfer zum Schutz der Allgemeinheit
Diese Einschätzung ist beispielsweise vor deutschen Gerichten sehr wichtig. Auf ihrer Grundlage entscheidet ein Richter in bestimmten Fällen, ob er eine Sicherungsverwahrung anordnet. Tut er dies, bleibt ein Täter in Haft, auch nachdem er seine Strafe abgesessen hat. Diese Sicherungsverwahrung ist nicht als Strafe gedacht. Sie wird verhängt, um andere Menschen vor ihm zu schützen. Juristen sagen dazu, der Sicherungsverwahrte »erbringt ein Sonderopfer für die Allgemeinheit«.
Vorher jedoch muss ein Gutachter die Wahrscheinlichkeit als groß einschätzen, dass der Täter in Freiheit wieder eine schwere Straftat begehen würde. Kommt ein Täter deshalb in die Sicherungsverwahrung, so ist diese – da sie keine Strafe mehr sein soll – mit Hafterleichterungen verbunden. Er hat dann unter anderem das Recht auf eine größere Zelle, er darf mehr Gegenstände besitzen und für seine Gefangenenarbeit bessere Bezahlung verlangen.
Eine Sicherungsverwahrung bleibt so lange angeordnet, wie der Straftäter weiter als stark rückfallgefährdet eingeschätzt wird. Dabei muss bei einem Rückfall die Gefahr bestehen, dass er anderen Menschen körperlich oder seelisch schwer schaden würde. Ob er weiter gefährlich ist, wird alle zwei Jahre von forensischen Gutachtern geprüft. Grundsätzlich kann ein Straftäter bis zu seinem Lebensende in Sicherungsverwahrung bleiben.
Forensische Gutachter und Therapeuten entscheiden auch darüber, ob ein Straftäter eine Therapie bekommen soll und, wenn ja, was für eine. Auch diese Entscheidungen hängen stark von der Psychopathie-Ausprägung des Täters ab. Lange Zeit galten »voll ausgeprägte« Psychopathen als untherapierbar. Erst seit wenigen Jahren werden moderne Therapieprogramme speziell für psychopathische Straftäter entwickelt und getestet. In diesem Bereich werden Forscher noch sehr lange sehr viel zu tun haben.
Der Schaden, den psychopathische Straftäter anrichten, ist mithilfe der Psychopathie-Checkliste schon deutlich eingedämmt worden. Viele gefährliche psychopathische Straftäter wie Rodney Alcala werden heutzutage sehr viel schneller dauerhaft inhaftiert. Noch mehr würde es allerdings bringen, Psychopathen schon als Kinder und Jugendliche gezielt zu therapieren, bevor aus ihnen schwere Straftäter werden. Damit entsprechend gefährdete Kinder rechtzeitig erkannt und mit den richtigen Methoden behandelt werden können, wird noch sehr viel Forschung notwendig sein.
Psychopathen – Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen
Robert Hares Entscheidung, dass ein Mensch mindestens 75 % psychopathischer Eigenschaften haben muss, um als voll ausgeprägter Psychopath zu gelten, hängt auch damit zusammen, wie stark die Psychopathie-Werte in der Gesamtbevölkerung ausgeprägt sind. In Nordamerika, wo Robert Hare seine Checkliste entwickelte, haben die meisten Männer weniger als 10 % psychopathischer Eigenschaften. Bei den meisten europäischen Männern liegt dieser Wert noch niedriger. Deshalb betrachten manche Experten einen Europäer, der 70 % psychopathische Eigenschaften hat, schon als voll ausgeprägten Psychopathen.
Egal ob man Hares »75-%-Regel« anwendet oder die an Europäer angepasste »70-%-Regel«, es drängt sich die Frage auf: Was ist mit Menschen, die deutlich mehr psychopathische Eigenschaften haben als die meisten anderen, aber immer noch weniger als »vollwertige« Psychopathen?
Auf diese Frage hatte Dr. J. Reid Meloy, forensischer Psychologe und Professor für Psychiatrie an der Universität von Kalifornien, eine Antwort. In seinem 1988 erschienenen Buch »Der
Weitere Kostenlose Bücher