Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
mittelgradig psychopathischen Interviewpartner immer wieder. Wenn sie zu einer Gruppe neuer Menschen stoßen, beobachten sie zunächst die anderen und hören sich an, worüber sie reden. Irgendwann greifen sie einen Gesprächsfaden auf – und innerhalb kürzester Zeit stehen sie mit ihren umfangreichen und klug wirkenden Aussagen im Mittelpunkt.
Wenn man den Psychopathen dabei jedoch länger beobachtet, fällt auf, dass er oft nicht ganz glaubwürdig wirkt. Sein Verhalten ähnelt der Darstellung eines mittelmäßigen Schauspielers, der eine Rolle spielt, die mit ihm, wie er wirklich ist, nicht viel gemeinsam hat.
Psychopathen eignen sich gerne Fachbegriffe und oberflächliches Wissen zu verschiedenen Gebieten an. Dadurch wirken sie besonders intelligent und beeindrucken ihre Mitmenschen, vor allem solche, die sie nicht näher kennen. Jeder, der von einem Thema wirklich Ahnung hat, merkt jedoch bald, dass die beeindruckenden Kenntnisse des Psychopathen hauptsächlich heiße Luft sind.
Mir fiel mit der Zeit auf, dass einer meiner Interviewpartner immer wieder erzählte, wie er psychologische Begriffe und Informationen in die Unterhaltung mit anderen einbrachte und dadurch eine gewisse Anerkennung erlangte. Dieses schlaglichtartige Wissen hatte er sich in den Gesprächen mit mir nebenbei angeeignet.
3. Wahrheit ist relativ
– Der Lügner
Psychopathen lügen und verschweigen Dinge viel häufiger als andere. Sie tun dies sehr geschickt und ohne zu zögern, wenn es ihnen etwas einbringt. Egal was sie erlebt und erreicht haben, was sie können, was sie denken und fühlen oder was sie vorhaben: Jederzeit können sie eine Lüge aus dem Hut zaubern und so mit der Wahrheit verweben, dass sie lange ungeschoren davonkommen. Sie bleiben so selbstsicher und überzeugend, dass die meisten Menschen gar nicht auf den Gedanken kommen, ihre Behauptungen zu überprüfen. Und wird der Psychopath doch einmal einer Lüge überführt, so wahrt er auch dann die Fassung und erfindet, ohne zu zögern, eine Ausrede.
Dorian, einer meiner mittelgradig psychopathischen Interviewpartner, berichtete mir, wie er einst von seiner festen Partnerin beim Fremdgehen erwischt worden ist. Er versicherte ihr glaubhaft, mit einem tiefen Blick in die Augen, dass ihm nicht klar gewesen sei, wie sehr er sie damit verletzen würde. Dies war, wie er offen zugab, eine dreiste Lüge. Ähnlich überzeugend gelang es ihm, Schuldgefühle vorzutäuschen, die er gar nicht hatte. Unter anderem beteuerte er, dass es ihn schwer belaste, wie sehr er seine Partnerin verletzt habe. Alleine deshalb würde er so etwas nie wieder tun. Fast überflüssig zu erwähnen, dass er seine Einstellung und sein Verhalten natürlich nicht änderte. Dorians umfangreiche Darstellung dieser Situation werde ich hier nicht weiter schildern, da seine Täuschungsmanöver sehr geschickt waren und ich Menschen in ähnlichen Situationen keine Ausreden liefern möchte. Wie schnell und glaubhaft er es schaffte, tief empfundene Gefühle und Einsichten vorzuspielen, die ihm in Wirklichkeit vollkommen fremd waren, beeindruckte mich jedenfalls.
4. Beeinflussen und Betrügen
– Der Puppenspieler
Psychopathen sind erstaunlich begabt darin, andere Menschen wie Marionetten zu beeinflussen, um ihre Ziele zu erreichen. Dabei ist ihnen völlig egal, welche Schäden sie anrichten. Einige schaffen es, dabei nie kriminell zu werden. Ohne eine Straftat begehen zu müssen, nehmen sie Menschen so erfolgreich für sich ein, dass diese ihnen über eine erstaunlich lange Zeit Geld, Sex und andere Dinge liefern, ohne jemals eine angemessene Gegenleistung – welcher Art auch immer – zu erhalten.
Kriminelle Psychopathen schrecken jedoch auch nicht vor Betrugsdelikten zurück. Einige beuten ihre Verwandten aus oder verwickeln diese unschuldig in kriminelle Aktivitäten. Ein Beispiel hierfür ist die Mutter einer jungen Frau, die das Gespräch mit mir suchte. Diese Mutter erfüllt genug Merkmale, um als stark ausgeprägte Psychopathin eingestuft zu werden. Sie beeinflusste ihr Leben lang alle Menschen in ihrem Umfeld – sowohl Partner als auch Familienangehörige – erfolgreich und beutete sie vor allem finanziell aus. Ihre Kinder misshandelte und vernachlässigte sie seelisch und körperlich. Als die ältesten geschäftsfähig wurden, begann sie massenhaft Dinge zu bestellen und Verträge abzuschließen, indem sie deren Unterschriften fälschte. Damit die Kinder sie nicht anzeigten, beeinflusste und erpresste
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