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Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Titel: Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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»Ich weiß es nicht genau. Es muss offensichtlich etwas gewesen sein, was Sie sagten. Doch ich weiß nicht genau, was es war.« Dietz daraufhin: »Könnte es die Tatsache gewesen sein, dass ich Sie mit einer Frage herausgefordert habe und es für Sie ablehnend klang?« Kuklinski nickt: »Ja, das kann gut sein. Denn es hat mich geärgert, was Sie sagten. Das ist die Wahrheit.« »Wie wütend sind Sie?«, fragt Dietz. »Ein wenig«, erwidert Kuklinski leicht lächelnd und ergänzt dann: »Ziemlich, ich fühle mich ein wenig geladen. Bin an einem Punkt in meinem Leben, wo ich ein wenig gereizt bin.« Dietz fragt: »Was würden Sie jetzt gerne tun?« Kuklinski erwidert mit entspanntem Gesicht und einem Achselzucken: »Das spielt keine Rolle.«
    Dann ergänzt er lächelnd: »Ich denke, es ist noch nicht zu dem Punkt gekommen, an dem ich etwas Dummes anstellen würde. Bin nur neugierig und frage mich selbst, warum das eben passiert ist, denn ich weiß es nicht. Ehrlich gesagt bin ich froh, dass das jetzt passiert ist, weil Sie so die Möglichkeit hatten, etwas davon zu sehen. Ich weiß wirklich nicht, warum das passiert ist.« Dietz fragt: »Hatten Sie das Gefühl, dass ich Sie kritisiert habe?« Augenblicklich antwortet Kuklinski »Ja«, wobei er angespannt wirkt. »War das der Auslöser?«, fragt Dietz. »Das denke ich schon«, erwidert Kuklinski. »Wer hat Sie in Ihrem Leben am meisten kritisiert?«, fragt Dietz. Sofort antwortet Kuklinski: »Natürlich mein Vater.« »Eben«, antwortet der Psychiater.
    Kuklinski hat nie verstanden, warum er einerseits nie Mitleid gegenüber seinen Opfern oder Angst während seiner Taten gespürt hat, andererseits aber sehr schnell Wut empfindet. Er ist nicht vollkommen gefühllos, nur einige Gefühle scheinen in ihm »ausgeschaltet« zu sein, während andere umso heftiger sind. Kuklinski hatte wie alle stark psychopathischen Menschen eine sehr unglückliche Kindheit. Er hasste beide Eltern, die ihm keinerlei Liebe entgegenbrachten, sondern ihn stattdessen vor allem beschimpften und körperlich schwer misshandelten. Dabei war der Vater noch wesentlich bösartiger und aggressiver als die Mutter.
    Ein Kindergehirn in dieser Lebensumgebung ist praktisch in ständigem »Alarmzustand«, der Stress ist unerträglich und kann nicht »heruntergeregelt« werden. In dieser Situation greift das Gehirn nur noch auf die ältesten Notfallprogramme aus der Menschheitsentwicklung zurück und schwankt daher permanent zwischen »fliehen«, »kämpfen« und »erstarren«. Weil die Alarmanlage während einer solchen Kindheit ständig »anspringt«, wird sie für den Rest des Lebens extrem überempfindlich. Das bedeutet, alles was auch nur entfernte Ähnlichkeit mit den traumatischen Erlebnissen der Kindheit hat, löst sofort den Alarm und eine der alten Notfallreaktionen aus.
    Als Kuklinski älter wurde, machte er die Erfahrung, dass das Notfallsystem »Kämpfen« in seiner Lebensumgebung das für ihn beste Ergebnis brachte: Er konnte damit verhindern, dass ihn jemals wieder jemand zu einem »Opfer« machen und in eine unerträgliche Situation bringen konnte. Was gut funktioniert und sich gut anfühlt, das wiederholen wir Menschen ganz selbstverständlich unwillkürlich. Deshalb begann dieses Notfallsystem – ohne dass Kuklinski das jemals bewusst wurde – die meisten seiner Handlungen zu beeinflussen.

    Kuklinski im Grundschulalter.
    Wenn er sich durch irgendjemanden oder irgendetwas auch nur im Entferntesten kritisiert, abgewertet oder bedroht fühlt – so wie er es als Kind immer wieder vor allem durch seinen Vater erlebte –, dann schaltet seine überempfindliche innere Alarmanlage schnell aufflammende, heftige Wut an. Diese Wut wiederum löst das alte Notfallsystem »Kämpfen« aus und er bekommt große Lust, die Ursache für den Alarm auszuschalten, also zu töten. Diese Ursache war in seiner Kindheit meistens sein Vater, gegen den er sich lange nicht wehren konnte. Doch irgendwann wurde Kuklinski körperlich stark genug. Das Töten löst – wovon er beim ersten Mal selbst überrascht war – in ihm ein gutes Gefühl aus. Es lässt ihn Macht und Kontrolle über das Leben anderer Menschen und somit auch über sein eigenes Leben spüren. Dieses Gefühl hatte er als Kind nie, weil er seinen Eltern machtlos und hilflos ausgeliefert war. Deshalb wurde das Ergebnis seines »Kampf-Notfallsystems«, das Töten, für ihn zur Sucht.
Wie Kindheitserlebnisse den Bau des Gehirns verändern
    Gehirne von

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