Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
geht man ein hohes Risiko ein. Man kann noch keinen festen Stamm an Patienten aufbauen, da man noch nicht von den Krankenkassen bezahlt wird.
Obwohl ich daher von Monat zu Monat sehen muss, wie ich über die Runden komme, und meine Ausbildung dabei selbst finanziere, gibt es einige Gründe, warum ich mich entschieden habe, schon während meiner Ausbildung selbstständig zu arbeiten. Ich mag Arbeit, die frei, kreativ und sehr abwechslungsreich ist. Sowohl therapeutisch zu arbeiten als auch Beraterin zu sein, anderen durch Vorträge und Kurse Wissen zu vermitteln, Artikel und Bücher zu schreiben, das ist für mich eine wunderbare Mischung. Hobby und Beruf sind dabei dasselbe, was ich als unbezahlbares Gut ansehe. Außerdem ist Psychologie eine unglaublich vielseitige Wissenschaft. Ich kann mich mit sehr unterschiedlichen Teilbereichen beschäftigen, ohne dass ich mich auf einen festlegen muss.
Auf diese Weise versuche ich etwas, das mir Spaß macht und offensichtlich zu meiner Persönlichkeit passt, damit zu verbinden, dass ich auch für andere Menschen etwas Nützliches leiste. Wie Sie inzwischen wissen, kann das starke Bedürfnis nach viel Abwechslung damit zusammenhängen, dass man in einigen Bereichen weniger starke Gefühle hat als andere, dass man beispielsweise seltener ängstlich und betroffen reagiert. Dies kommt auch bei psychopathischen Menschen häufig vor. Mir ist klar, dass ich hier eine Gemeinsamkeit mit deutlich psychopathischen Menschen habe und mich unter anderem auch deshalb sehr gut in sie hineindenken kann.
Wie ich bereits beschrieb, werden Sie einige Eigenschaften aus dem Psychopathie-Baukasten bei dem einen oder anderen Menschen entdecken, den Sie kennen. Doch erst die Anzahl, Zusammenstellung und Stärke solcher (und anderer) Eigenschaften entscheidet darüber, wie die Persönlichkeit eines Menschen aussieht. In bestimmten Eigenschaften nicht dem Durchschnitt der Bevölkerung zu entsprechen, muss nicht zwangsläufig negative Folgen haben. Dies zu verstehen ist sehr wichtig, denn »anders« zu sein bedeutet eben nicht automatisch, »unsozial« oder gar »gefährlich« zu sein.
Dies erklärte auch der Psychiater Park Dietz in einem seiner Gespräche dem Serienmörder Richard Kuklinski. Irgendwann fragte Kuklinski leicht zögernd: »Was denken Sie … über … mich? Irgendetwas Gutes, Schlechtes oder etwas dazwischen?« Dietz antwortete: »Ein wenig von alldem«, worauf Kuklinski überrascht lachte. Die meisten Menschen würden sicher nichts »Gutes« in jemandem sehen, der rund zweihundert kaltblütige Morde beging. Diese Taten waren zutiefst »böse«, da sie für unglaubliches Leid sorgten, das steht außer Frage. Doch Dietz sieht wie viele Wissenschaftler, die mit Straftätern arbeiten, in einem Menschen sehr viele unterschiedliche Eigenschaften. Dazu gehören auch solche, die mit seinen Taten nichts zu tun haben.
Etwas später erklärte er Kuklinski, dass die Persönlichkeit, die er als Erwachsener entwickelt habe, auf einer Mischung aus seinen Erbanlagen und seinen deutlich zerstörerischen Kindheitserfahrungen beruhe. In diesem Zusammenhang sagte Dietz etwas sehr Wichtiges: »Es gibt eine genetische Grundlage dafür, eine furchtlose Person zu sein. Sie haben mir berichtet, dass Sie nur sehr selten nervös werden oder Angst empfinden. Es müssen sehr extreme Dinge passieren, damit Sie ein Gefühl für bevorstehende Gefahr wahrnehmen. Normale Menschen werden häufig bei sehr vielen Dingen ängstlich und wären außer sich, wenn sie je etwas von dem erleben würden, was Sie jede Woche erlebten. Was Sie getan haben, hätten Sie nicht tun können, wenn Sie normale Angst empfinden würden.
Doch die Tatsache, dass Sie mit einer genetischen Anlage zur Furchtlosigkeit geboren wurden, bedeutet nicht, dass es unvermeidbar für Sie war, ein Verbrecher zu werden. Denn einige Menschen, die eine solche genetische Veranlagung dazu haben, furchtlos zu sein, verwenden ihre Risikoneigung später zum Nutzen der Gesellschaft. Sie werden beispielsweise Rennfahrer, testen als Piloten neue Flugzeugmodelle oder entschärfen Bomben. Das sind alles Berufe, in denen es sehr nützlich ist, furchtlos zu sein. Tatsächlich sind auch einige Menschen in Berufen, die mit Strafverfolgung zu tun haben, mutig und nutzen ihre Risikoneigung in diesem Bereich.«
Diese Sätze passen zu einem meiner Lieblingszitate, von der französischen Sängerin Édith Piaf: »Nutze deine Fehler, nutze deine Schwächen.« Zwei Beispiele
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