Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
Menschen, die in ihrer Kindheit traumatisiert wurden, sehen tatsächlich oft sogar etwas anders aus als die anderer Menschen. Das bedeutet, dass die Erlebnisse den Aufbau des Gehirns während der Kindheit beeinflusst haben. Eine wichtige Ursache dafür, dass schlimme Erlebnisse den Aufbau des kindlichen Gehirns tatsächlich verändern können, sind Stresshormone – Katecholamine, Glutamat und Kortisol. Die sind eigentlich dazu da, dass unser Körper in gefährlichen Situationen sofort alle seine »Energiereserven« freisetzt und wir wach und schnell reagieren, also wegrennen oder kämpfen können, um uns zu retten. Die Stresshormone veranlassen uns, so zu handeln, wie die Notfallsysteme aus der frühen Zeit der Menschheitsentwicklung es vorsehen. Sie werden ausgeschüttet, wenn unsere innere Alarmanlage anspringt, unser Gehirn also »entscheidet«, dass wir einer Gefahr ausgesetzt sind.
Wenn ein Kind von klein auf in einem Elternhaus lebt, wo die Eltern es körperlich misshandeln, vernachlässigen oder sexuell missbrauchen, dann wird die »Alarmanlage« – wie bei Richard Kuklinski – im Kindergehirn immer wieder und für lange Zeit angeschaltet. Dadurch werden auch Stresshormone immer wieder in großen Mengen ausgeschüttet. Das Kind bekommt praktisch eine dauernde »Überdosis« ab. Leider wirken sich Stresshormone in zu großen Mengen ungünstig auf unser Gehirn aus. Sie bewirken dann, dass einerseits Nervenzellen zerstört werden, dass sich andererseits neue Nervenzellen teilweise langsamer als normal bilden. Das Gehirn wird dann gewissermaßen nach und nach von den körpereigenen Stresshormonen vergiftet. Für ein Kindergehirn, das noch im Aufbau steckt, ist die Wirkung verheerend.
Besonders tragisch dabei: Vor allem Gehirnteile, die wir eigentlich brauchen, um mit gefährlichen Situationen und Belastungen umzugehen und um »gesunde« Beziehungen zu anderen Menschen herzustellen, werden durch zu viele Stresshormone in der Kindheit beschädigt. Ein gefährlicher Teufelskreis entsteht: Genau die Hirnbereiche, die Stress verarbeiten sollen, macht zu viel früher Stress kaputt. Dadurch kann das Gehirn immer schlechter mit unangenehmen Erlebnissen umgehen, schüttet immer häufiger immer mehr Stresshormone aus, was deren Überdosierung und ihre schädliche Wirkung auf das Gehirn immer weiter vorantreibt.
Doch wie stark der Schaden durch Traumatisierung wird und welche Hirnteile besonders beschädigt werden, das beeinflussen auch die Erbanlagen des Kindes. Falls Sie sich das nur schwer vorstellen können, ein Alltagsbeispiel zum Thema »Erbanlagen«: Ihnen ist sicher schon aufgefallen, dass, wenn verschiedene Menschen die gleiche Menge Alkohol trinken, der eine schon deutlich angetrunken sein kann, während der andere noch sehr nüchtern wirkt. Das hat nicht nur damit zu tun, ob jemand Alkohol gewohnt ist, sondern auch, welche Gene er hat. Asiaten beispielsweise vertragen wegen ihrer Erbanlagen Alkohol meist sehr viel schlechter als Europäer. Osteuropäer – ich komme aus Polen und weiß das aus eigener Beobachtung – vertragen oft besser Alkohol als Westeuropäer. Das bedeutet, unsere Gene wirken sich darauf aus, wie unser Körper auf Dinge, die wir erleben oder zu uns nehmen, reagiert.
Wenn verschiedene Kinder die gleichen traumatischen Erlebnisse haben, entscheiden Erbanlagen darüber, wie gut ihr Gehirn zu diesem Zeitpunkt eine so starke Belastung schon »abpuffern« kann. Das wirkt sich beispielsweise darauf aus, wie schnell und wie lange wie viele Stresshormone in solchen Situationen ausgeschüttet werden. Somit können die Schäden am Gehirn unterschiedlich schwer ausfallen und in unterschiedlichen Hirnteilen auftreten, abhängig von den Erbanlagen des traumatisierten Kindes. Deswegen können Menschen mit ähnlichen schlimmen Kindheitserlebnissen als Erwachsene unterschiedliche Probleme haben. Sicher ist nur: Je früher sich die traumatischen Erlebnisse ereignen, je länger und einschneidender sie sind, desto gravierender wird auf jeden Fall die Veränderung im Gehirn und somit auch die psychische Störung als Erwachsener ausfallen.
Bei Erwachsenen, die in ihrer Kindheit über längere Zeit schwer traumatisiert wurden, ist das Gehirnzentrum für die Verarbeitung von Gefühlen – die Amygdala – kleiner als bei normalen Menschen. Ebenso ist ein Teil des Gehirns verkleinert, der für die Verarbeitung von Erinnerungen wichtig ist – der Hippocampus. Auch der »Balken«, der beide Gehirnhälften
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