Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
geschafft, ihre eigenen Stärken zu finden und sich dadurch selbst positiver zu sehen. Die Schuld daran geben sie aber den »anderen«. Das sind dann die Mitschüler, die ihnen mit ihren jahrelangen Hänseleien das Gefühl gaben, »zu schlecht zu sein, um dazuzugehören«. Sie empfinden ihr Leben als zutiefst ungerecht und nehmen sich selbst als völlig losgelöst von allen anderen Menschen wahr. Deshalb richtet sich ihr Hass nicht nur auf einzelne, sondern auf alle Schüler und Lehrer ihrer Schule, manchmal sogar auf völlig Unbeteiligte. Aus der komplett eingeschränkten Sicht des Amokläufers ist es schließlich nur noch ein Zweikampf: »Die Welt – also alle anderen – gegen mich.« Deshalb »rächen« sie sich an so vielen Menschen, wie sie können, bevor sie meist selbst ihr Leben beenden.
Auch psychopathische, sadistische Serienmörder berichten oft davon, dass sie schon in ihrer Kindheit »anders« waren. Sie begannen, sich in ihre eigene Welt, wo sie sich sicher fühlten, zurückzuziehen. Diese Welt füllten sie meist spätestens ab ihrer frühen Jugend mit sexuell erregenden Tagträumen, in denen sie andere Menschen grauenvoll zu Tode quälen. Den Hass und die Verzweiflung über sich selbst, den »Schul-Amokläufer« irgendwann gegen ihre Mitschüler richten, wenden solche Serienmörder in ihrer Vorstellung gegen sexuell begehrenswerte Menschen.
Wenn ein Kind in der Schule über Jahre als Außenseiter auffällt, kann man nicht vorhersehen, ob es irgendwann lernt, aus seinen Schwächen Stärken zu machen – oder ob es einen zerstörerischen Hass entwickelt, den es irgendwann gegen andere Menschen richtet.
Daher würde ich den Spruch von Charles J. Sykes überspitzen:
»Sei nett zu Nerds, denn irgendwann könnte einer von ihnen Macht über dich haben. Als dein Boss oder dein Mörder.«
Psychopathen – die »großen Brüder« der Narzissten
Christian nutzte seine besonderen Fähigkeiten schon in der Schulzeit, um sein Selbstwertgefühl damit zu »stützen«. Dadurch schaffte er es mit der Zeit besser, Hänseleien wegen seiner Legasthenie zu ertragen. Wenn Menschen in ihrer Kindheit zunächst den Eindruck haben, sie seien schlechter als andere, also »minderwertig«, dann schlägt das mit der Zeit manchmal ins Gegenteil um. Entdecken sie, dass sie etwas besonders gut können, dann müssen einige von ihnen sich selbst immer wieder darin beweisen. Nur wenn ihnen dies gelingt, fühlen sie sich nicht mehr minderwertig.
Das Ergebnis ist, was Psychologen und Psychiater eine »Narzisstische Persönlichkeitsstörung« nennen. Zwar sind die meisten Narzissten keine Psychopathen, doch drei viertel aller Psychopathen haben auch eine narzisstische Persönlichkeit. Diese Psychopathen kann man als »ausgebaute Version« von »normalen« Narzissten ansehen. Einige Psychopathie-Bausteine beschreiben Eigenschaften, die auch für Narzissten typisch sind. Dass sie sich – zumindest die meiste Zeit – übertrieben großartig wahrnehmen und auch so darstellen, dass sie hauptsächlich an ihre eigenen Interessen denken, dass sie andere Menschen ausnutzen, ohne sich schlecht zu fühlen, haben Narzissten und die meisten Psychopathen gemeinsam.
Viele Menschen glauben, Narzissten würden sich für außergewöhnlich toll halten und hätten bei sich nie Schwächen gesehen. In Wirklichkeit haben alle Narzissten als Kinder irgendwann das Gefühl gehabt, minderwertig, unwichtig und nicht liebenswert zu sein. Wenn sie es schaffen, in irgendwelchen Bereichen besonders gut zu sein, dann fühlen sie sich kurzzeitig besser, dann können sie ein Bild von sich aufbauen, in dem sie wertvoller als andere Menschen sind.
Haben sie dies erst einmal geschafft, fühlen sie sich damit sehr wohl. Daraus leiten sie auch ab, dass andere Menschen sie bewundern sollten und dass sie sich, im Gegensatz zu diesen, nicht an Regeln halten müssen. Solange sie bewundert werden und Erfolg haben, fühlen sich Narzissten übermächtig und richtig gut. Doch sie brauchen immer wieder immer neue Erfolgserlebnisse. Bleiben diese aus, beginnen sie an sich zu zweifeln und sich so minderwertig wie in ihrer Kindheit zu fühlen. Das können sie nicht ertragen, deshalb suchen sie sofort den nächsten Erfolg – koste es, was es wolle.
Vorsicht: Das narzisstische Imperium schlägt zurück!
Haben Narzissten keine neuen Erfolge vorzuweisen oder – schlimmer – machen sie Fehler, scheitern oder werden kritisiert, dann fühlen sie sich schnell wieder wie ein »kleiner
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