Auf Dunklen Schwingen Drachen1
letzten Knoten, überzeugte mich, dass das Baby sicher saß, und zog ärgerlich das Tuch über sein lächelndes Gesicht. Er beschwerte sich und fing an, gegen das Tuch zu schlagen.
»Lass mir die Urne herunter«, sagte Kiz-dan müde.
»Ich verstehe nicht, warum du mehr Wasser holen musst, wenn ich die Urne heute Morgen gefüllt habe.«
»Das hast du nicht getan, Zar-shi. Und gestern auch nicht.
Du sagtest, du würdest es tun, und du bist auch mit der Urne hinausgegangen. Aber als du zurückkamst, war sie leer.« Sie hob eine Urne vom Boden auf und drückte sie mir in die Hände. »Es wird ein Segen sein, wenn dein Gift aufgebraucht ist.«
Ich sah sie an, verblüfft, dass sie mir etwas so Boshaftes wünschen konnte. Dann allmählich dämmerte es mir.
»Du stiehlst es, wenn ich schlafe«, behauptete ich. »Du schüttest es weg. Deshalb ist nicht mehr viel da.«
Die orangefarbene Gestalt vor mir schnaubte verächtlich. »Du bist wirklich ein Wrack.«
Sie drehte sich um und ging zur Tür des Balkons. Der Saum des Tuchs schleifte zischend hinter ihr über den Boden.
»Du stiehlst mein Gift!«, schrie ich ihr nach.
»Lass mir die Urne herunter«, antwortete sie nur, öffnete die Tür und warf die Strickleiter hinab. Die aus Schlingpflanzen geflochtene Leiter rutschte raschelnd an der Wand hinunter.
Ich folgte ihr, sah ihr zu, wie sie hinabstieg. Die feuchte Luft war hier draußen ebenso schwül und stickig wie in dem Gawabe. Fledermäuse schossen im Zickzack durch den Abend, auf der Jagd nach Insekten.
»Ich habe dir vertraut!«, jammerte ich Kiz-dan nach. »Wie konntest du das tun! Du weißt doch, was passiert, wenn ich kein Gift bekomme? Brutdrachen! Miststück! Hure! Diebische …«
Sie schrie auf, ein erschreckend verzerrtes Geräusch. »Nein! Oh, nein, nein, nein!«
»… Drachenlutschende …!«
»Zar-shi!«, kreischte sie. »Er fällt!«
Ich brauchte einen Augenblick, bis ich begriff, was sie meinte, was diese merkwürdigen Bewegungen unter ihrem Tuch bedeuteten. Ich ließ die Urne auf den Boden fallen und packte das Seil, das neben der Leiter hing, mit dem sie hinabgelassen und hochgezogen wurde. Ich hielt mich daran fest, rutschte daran herunter, sehr schnell. Das grobe Seil verbrannte meine Handflächen, während Kiz-dan unaufhörlich »Nein, nein, nein!« schrie. Ich sank neben sie, streckte die Hand aus, erwischte jedoch nur Luft und kühles, orangefarbenes Tuch.
»Zar-shi!«, schrie sie, und da berührten meine Finger etwas, ein Bein, einen Knöchel, einen kleinen Arm. Ich packte zu, fest, aber was auch immer ich hielt, es war nicht das Baby.
Es fiel, so leicht wie eine Feder.
Hinab.
Hinab.
»NEIN!« Mein Herz zersprang fast, als ich schrie und er auf dem Boden aufprallte.
»Lass ihn nicht los, lass nicht los!«, schluchzte Kiz-dan.
Im nächsten Moment tauchte einer der Makmaki-Brüder auf, nackt, auf der Leiter, über Kiz-dan, streckte die Hand nach mir aus.
»Gib ihn mir. Alles ist gut, gib ihn mir«, sagte er.
Ich verstand nicht, fühlte mich schwindlig, spürte, wie das Seil durch meine Hände glitt.
»Lass ihn los, Zar-shi!«, schrie Kiz-dan. »Du fällst.«
»Ich habe ihn jetzt. Lass ihn los!«, blaffte mich der Bruder an. Er trat mir mit dem nackten Fuß auf den Kopf, und dann glitt ich von ihnen weg, während das Seil mir die Handflächen versengte.
Ich landete hart auf dem Boden, so schnell war ich. Meine Knie schienen sich in meine Brust zu bohren, und ich fiel fast ohnmächtig auf den Rücken.
Ich starrte zu ihnen hinauf, auf der Leiter, über mir: eine Gestalt in einer orangefarbenen Kutte, Kiz-dan, und der Makmaki über ihr. Er hielt sich mit einem muskulösen Arm an der Leiter fest und drückte das brüllende Baby mit dem anderen an seine grauhaarige Brust.
Über ihnen, in dem von Sternen gespickten Zwielicht, kreiste ein großer Geier.
Ich drehte steif den Hals.
Neben mir lag kein kleiner, zerschmetterter Körper. Nur eine weiße, leere Windel.
Die meine von Drogen zitternden Finger nicht hatten zusammenknoten können.
In dieser Nacht nahm ich kein Gift. Ich hielt stattdessen Nachtwache bei den hängenden Toten, voller Abscheu vor mir und dem, was aus mir geworden war. Immer wieder durchlebte ich die schrecklichen Bilder, wie Kiz-dans Baby fiel, leicht wie eine Feder auf den Boden stürzte.
Ich marschierte umher, konnte nicht stillstehen.
Ich schlenderte unaufhörlich durch diesen bedauerlichen Wald senkrecht hängender Toter. Meine Schultern streiften
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