Auf Dunklen Schwingen Drachen1
mich auf seine Schultern. Seine nackten Muskeln waren warm an der Haut meiner Schenkel und bewegten sich, als er sich bückte und die Handgriffe des Karrens packte.
»In dem Korb ist Paak. Nimm dir davon«, sagte er, und ich wühlte mit zitternden Fingern in dem Korb.
Dann, mit Paak im Mund und breitbeinig auf den Schultern eines Mannes sitzend, wurde ich vom Hof meines Clans gebracht. Ich sollte niemals dorthin zurückkehren.
Der Morgen dämmerte in Gestalt einer kalten Nebelbank. Sie waberte durch die Gassen und klebte an Xxef-keaus nackten Waden wie die Geister verirrter Kinder. Sie schmückte Mutters Haar mit diamantenen Perlen und überzog meine nackten Arme wie ein Schwarm von Moskitos. Graues Licht drang mühsam durch den Dunst.
Eine kalte zaghafte Brise jagte den Nebel und legte sich. Die Achse des Eierkarrens quietschte, und Xxef-keaus Sandalen klatschten auf der harten Erde. Sein Atem bildete Wolken in der Luft.
Plötzlich erstarben die Geräusche. Ich kämpfte mich aus meiner Betäubung und merkte, dass Xxef-keau stehen geblieben war.
Vor uns lag eine Ebene, von Nebel überzogen, dichtem, schweigendem und feuchtem Nebel. Wieder frischte der Wind auf und gab den Blick auf viereckige Steinsockel frei, jeder so hoch wie drei Männer, die aufeinanderstanden, und so breit, dass vier Brutdrachen sich Schnauze an Schwanz stellen müssten, um sie zu umringen. Auf diesen Steinsockeln standen Holztürme mit zwei, manchmal drei Etagen, und die Bogengänge, welche die höchsten Türme miteinander verbanden, schienen in den Nebelschwaden zu schweben.
Ich kannte diesen Ort, obwohl ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Geesamus Ir Cinai Ornisak , die vom Drachen geheiligte Zone der Toten. Die Türme auf diesen Steinsockeln waren Gawabes , Bestattungstürme, und in ihnen regierten die Kigos, die einbalsamierten Wohlhabenden, und ihre lebendigen Diener, die Makmakis .
Einige dieser Diener der Toten gingen am Fuß der großen Steinsockel und der Bestattungstürme ihren Pflichten nach. Sie waren von Kopf bis Fuß in orangefarbene Kleidung gehüllt, sahen alle gleich aus, gesichts-und gliederlos. Sie wirkten nicht menschlich.
Mein Herz raste.
Xxef-keau hob mich von seinen Schultern und rollte den Kopf nach rechts und links, um die Anspannung seiner Halsmuskeln zu lösen. Meine Beine waren genauso steif und wund und schienen in der gekrümmten Position verkrampft zu sein, in der ich die ganze Nacht auf seinem Hals gesessen hatte. Ich zitterte, nicht nur wegen der Kälte und des Schmerzes, und sah zu, wie er sich über den Eierkarren beugte und Mutter anstieß, bis sie die Augen aufschlug und sie verdrehte.
»Du wirst heute und morgen in einem Gawabe bleiben«, erklärte er. »Ich habe dafür gesorgt, dass euch übermorgen ein Chanooi abholt. Du wirst deinem Mädchen die Aufnahme in die Chanoom-Sekte erkaufen. Ihr wird es bei ihnen gut gehen. Sie werden die Münzkette ohne Frage akzeptieren. Etliche Männer des Danku haben viel riskiert, um diese Kette zu bekommen, verstehst du? Für Darquel. Also mach das, und ich werde mich ab und zu nach ihr erkundigen und mich vergewissern, dass es ihr gut geht.« Nachträglich, als wäre es ihm gerade eingefallen, setzte er hinzu: »Großvater Rudik hat dich zur Nas Rishi Poakin Ku erklärt.«
Zu einer gefährlichen Leibeigenen, die aus dem Clan ausgestoßen wurde.
Allerdings ist »ausgestoßen« nicht die zutreffende Übersetzung für das Wort poakin. Poakin bezeichnet die Muskelbewegungen eines Drachen, der Maht wiederkäut, die teilweise verdaute Nahrung aus Getreide. Wenn dieser Begriff dem Wort Nas folgt, nimmt der Ausdruck eine finsterere Färbung an. Nas heißt : Unfähig, in Gemeinschaft zu leben, ehrlos, eine labile, gewalttätige Person, die keinerlei Verwandtschaftsbande knüpfen kann.
Mutter würde niemals wieder in einen Clan aufgenommen werden, in keinen Clan.
Und wenn ich nicht von ihr getrennt wurde, erwartete mich dasselbe Schicksal.
Mutter nickte fast unmerklich. Sie würde mir die Aufnahme in die Chanoom-Sekte erkaufen.
Zufrieden hob mich Xxef-keau wieder auf seine Schultern, packte die Griffe des Eierkarrens und betrat mit uns die Zone der Toten.
13
N achdem Xxef-keau einige der in Orange gekleideten Kigos Makmakis befragt hatte, die Diener der Toten, entschied er sich für einen Bestattungsturm, um den sich zwei Brüder kümmerten. Die beiden Brüder, von denen einer mich trug, folgten ihm, als er die Strickleiter hinaufstieg, die in ihren Turm
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