Auf Dunklen Schwingen Drachen1
ich mir ein, dass sie recht hätte und die Brüder uns nicht betrügen würden. Durch welche Mittel auch immer, ob durch Djimbi-Magie oder durch ihre Intuition, hatte Mutter die beiden jedenfalls als vertrauenswürdig eingestuft.
Sie behielt recht.
So stiegen wir beide dann einige Tage später unseren Gawabe hinab. Meine Mutter trug eine kleine Münzkette um den Hals. Ein junger Makmaki von einem anderen Gawabe führte uns gutgelaunt aus der Zone der Toten heraus. Ich weigerte mich, zu den Brüdern zurückzusehen, die uns nachblickten. Aus Angst, dass ich zu ihnen zurücklaufen und sie anflehen würde, mich zu behalten.
Nach so vielen Wochen, die wir unter den Kigos gelebt hatten, beunruhigte mich die Energie der Menschen, die uns auf den Gassen entgegenkamen. Meine Unruhe schien sich irgendwie in den Augen derjenigen zu spiegeln, die in Mutters entstelltes Gesicht sahen, bevor sie ihre Blicke rasch abwandten.
Am späten Vormittag besorgte uns unser junger Führer eine Fahrt auf einem Drachenkarren, der Urnen von gesegnetem Tempelöl geladen hatte. Danach verschwand unser Führer plötzlich in die nächste Gasse. Mutter und ich hatten uns bereits hinten auf den Karren gesetzt, und der Drachenjünger-Kutscher hatte den Drachen mit der Peitsche angetrieben. Ich wollte dem Makmaki nachlaufen, doch Mutter hielt mich zurück.
Wir waren auf uns allein gestellt.
Um die Mittagszeit erreichten wir Iri Timadu Bayen Sor, die Zone der Höchst Vornehmen Aristokraten.
Der gewaltige Tempel, der Wai Bayen Tempel, dominierte den Marktplatz, auf dem es von Ständen wimmelte, an denen bunte Stoffe, Lederwaren, Früchte, geflochtene Körbe, Wandbehänge und Macaws in Käfigen feilgeboten wurden. Der Tempel stand im Mittelpunkt des Marktes, auf einem gewaltigen Podest aus Sandstein, das mit geometrischen Mustern verziert war. Der Tempel war ein monströses Gebilde mit prächtigen kupferbeschlagenen Türmen, vielen goldenen Kuppeln, Bögen und Holzgittern, die mit Halbedelsteinen verziert waren.
Mutter murmelte etwas Unverständliches.
»Was?«, fragte ich.
»Hier hat Großvater Rudik meine Diademe verkauft«, wiederholte sie die Worte für mich langsam und mit schmerzverzerrtem Gesicht. Ich sah den Tempel danach mit anderen Augen, als wäre ein Schatten über das Glitzern und die Pracht geglitten.
Wir versuchten, einen Weg aus Brut Re zu finden.
So viele Menschen, so viele Farben und Gerüche, so viel Fett und Wohlstand. Der Lärm, die sich widersprechenden Informationen, das alles war angetan, einen verrückt zu machen. Ich fungierte als Mutters Sprecherin und befragte die Frauen, die ihre Waren auf dem Tempelplatz zum Kauf anboten.
Je später es wurde, desto unsicherer wurden die Schritte meiner Mutter, und ein merkwürdiger Schweißfilm bedeckte ihr Gesicht.
Wie wunderbar es doch gewesen wäre, einfach zu einem Drachenjünger oder einem Akolyten zu schlendern, ihn zu fragen und sofort die richtige Richtung gewiesen zu bekommen. Doch eine Frau konnte das nicht allein tun. Im besten Fall würde sie ignoriert, im schlimmsten Fall für ihre Anmaßung verprügelt.
Ach, wie schön wäre es gewesen, ein Junge zu sein!
Dann dachte ich … Warum nicht? Ich sah fast aus wie ein Junge, mit meinem struppigen Haar und den hageren Gliedern.
Mit einer kostbaren Münze von unserer bereits kleiner gewordenen Münzkette erstand ich einen Lendenschurz an einem Stand und hockte mich zwischen zwei der vielen weißtürkisen Säulen des Wai Bayen Tempels, um mich umzuziehen. Es war längst dämmrig, und Mutter und ich hatten nichts gegessen, seit wir den Bestattungsturm verlassen hatten. Ihr Gesicht war ebenso blass wie die Verbände um die Kigos, die ich bewacht hatte.
Hätte sie nicht so schrecklich ausgesehen, hätte ich gewiss nicht den Mut aufgebracht, einen der Drachenjünger anzusprechen, die in den Wai Bayen Tempel zurückkehrten, um dort zu schlafen. Ich war am Rande der Panik wegen meiner Nacktheit, doch ich näherte mich dem Drachenjünger mit dem breitbeinigen, schwankenden Gang, den ich bei Männern gesehen hatte. In ihrem kühnen Ton fragte ich ihn, wo ich vielleicht eine Reisemöglichkeit aus Brut Re finden könnte. Er antwortete ohne Zögern oder Anzüglichkeit und ging dann seiner Wege.
So einfach war das. Und das alles nur dank eines Lendenschurzes.
Wir folgten seinen Anweisungen. Schon bald erreichten wir die Gasthäuser und Stallungen, wo die Händler, Kutscher und ihre Drachen übernachteten, die außerhalb der
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