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Auf Dunklen Schwingen Drachen1

Auf Dunklen Schwingen Drachen1

Titel: Auf Dunklen Schwingen Drachen1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cross
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eine Binde über die Augen zu legen.
    Ich blieb ruhig, kauerte mich zusammen und regte mich nicht. Wenn ich es nur genug versuchte, konnte ich mich und meine Mutter vielleicht unsichtbar machen. Wer unsichtbar war, war in Sicherheit.
     
    Wir blieben den ganzen nächsten Tag auf der Latrine, die Nacht und den darauffolgenden Tag. Das Licht in der Latrine war grau und von Spinnweben gedämpft, drang durch die Spalten und Astlöcher in den roh behauenen Holzwänden, langsamer als selbst die Palmspinnen, die über unseren Köpfen herumkrabbelten. Das Licht in der Nacht war so spärlich, dass meine Augen brannten, als ich etwas zu erkennen versuchte.
    Jenseits unseres engen Gefängnisses hörten wir Wehklagen und das Krachen von Holz, als man die Trümmer vom Hof räumte. Einmal schleuderte jemand Steine auf unsere Latrine und stieß unverständliche Flüche aus. Vermutlich Groß Grum Grums Li.
    In der dritten Nacht öffnete Leishus Caan die Tür und reichte uns einen Napf mit Featon - Brei. Sie versuchte, Mutter mit den Fingern den Brei in den Mund zu löffeln, doch Mutter stöhnte vor Schmerz und ließ den Brei wie einen klumpigen Geiferfaden auf die Brust fallen, also hörte Leishus Caan damit auf. Ich war durstig, aber sie hatte vergessen, etwas zu trinken mitzubringen. Sie versprach, uns später Wasser zu bringen, was sie nie tat. Ich sah sie niemals wieder.
    Bevor sie uns jedoch verließ, spuckte sie auf eine Ecke ihres Bitoos und versuchte, den Schmutz von Mutters Wangen zu reiben. Erneut stieß Mutter ein qualvolles Stöhnen aus. Also wusch Leishus Caan stattdessen mein Gesicht. Es war eine merkwürdige Geste, da wir auf dem Boden einer Latrine schliefen, aber die freundliche Absicht war unverkennbar. Ich saß regungslos da, verängstigt von ihren sanften Fingerspitzen.
    Später in dieser Nacht wurde mein Durst zur Besessenheit.
    Ich musste Wasser bekommen. Ich flüsterte Mutter zu, was ich vorhatte, und sie bedeutete mir durch Handzeichen, ihr ebenfalls etwas zu bringen. Und sie bat mich um noch etwas anderes, krallte nach meinen Schenkeln, packte meine Handgelenke und scharrte schließlich auf dem Boden.
    »Die Armbänder«, begriff ich endlich, und sie seufzte erleichtert auf, erschöpft von ihren Bemühungen, sich verständlich zu machen.
    Es war schwierig, aufzustehen. Ich hatte mich zwar in den letzten Tagen häufig bewegt, war aber immer sitzen geblieben. Meine Beine waren verkrampft, und mein Steißbein pochte wie ein Tumor.
    »Ich beeile mich, so sehr ich kann«, sagte ich zu Mutter und schloss die Tür vor ihrem aufgequollenen Gesicht.
    Vor der Latrine war es feucht, kalt und still, und mir kam es vor, als würde selbst die Nacht mein Tun missbilligen. Ich stand einige Herzschläge lang zitternd da und versuchte, mich zu orientieren. Der Großteil der Trümmer war weggeräumt worden, aber es verwirrte mich, dass keine Gebäude dort standen, wo sie eigentlich hingehörten. Schließlich jedoch fand ich mich zurecht und erkannte die Umgebung: das Frauenhaus, die Reste von Yelis Hütte, den Arbeitsschuppen der Frauen.
    Zu dem ging ich.
    Es war Angst einflößend, ihn allein in der Nacht zu betreten, zwischen Mutters zerbrochenen Statuen herumzugehen.
    Hier ein Arm, dort ein Kopf auf dem Boden. Ich dachte plötzlich an die Schlange, die sich in der Nacht, als Kobo getötet wurde, vom Dach heruntergelassen hatte, und an die abgehackten Klagelieder der Djimbi. Ich zitterte, diesmal nicht nur vor Kälte.
    Rasch ging ich zu der kleinen Zisterne in der entlegensten Ecke des Schuppens, tauchte meine Hände in das von Algen schmierige Wasser und trank aus meinen hohlen Händen, während ich unablässig die zerstörten Statuen aus den Augenwinkeln beobachtete.
    Dann suchte ich etwas, worin ich Mutter Wasser bringen konnte. Nach kurzem Zögern hob ich mit heftig klopfendem Herzen einen höhnisch glotzenden vieräugigen Lehmkopf vom Boden auf und füllte den hohlen Schädel mit Wasser. Ich drückte ihn an meinen Leib und rannte damit zur Latrine zurück.
    Mutter verschüttete das ganze Wasser, als sie versuchte, zu trinken. Vielleicht trank sie auch doch etwas, denn sie lehnte mit einem gurgelnden Seufzer den Kopf zurück und schloss die Augen. Den Kopf der Statue umklammerte sie mit den Händen in ihrem Schoß, und ich glaube, er hat irgendwie ihren Durst gelöscht, das Gefühl von Ton in ihrer Hand, nicht das Wasser, das über ihre geplatzte, geschwollene Zunge geronnen und ihr nutzlos zwischen den zerschlagenen

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