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Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt

Titel: Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni di Lorenzo Helmut Schmidt
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insbesondere in einer Demokratie.
    Mehr noch als in Diktaturen?
    Ja, weil man in einer Demokratie darauf angewiesen ist, dass man gewählt wird. Und dazu sind beide Dinge notwendig, sowohl die materielle Zufriedenheit als auch die circensische Unterhaltung. Ich nenne nur ein Beispiel: Die vielen Talkshows heute – das ist ein Ersatz für circenses.
    Zu viel der Ehre! Ich hätte eher an die Fußballweltmeisterschaft gedacht.
    Die gehört auch dazu. Das reicht von der Fußballweltmeisterschaft über die Tour de France bis hin zu Anne Will.
    War die Fußballweltmeisterschaft nicht mehr: ein identitätsstiftender Moment für die Deutschen?
    Die gute Stimmung war jedenfalls echt. Und die Leute sind alle fußballinteressiert.
    Sie etwa auch?
    Das nicht, aber ich würde es ungern sehen, wenn der HSV aus der Bundesliga absteigen würde.
    Hielt man in Ihrer Generation eher zum HSV oder zum FC St. Pauli?
    Das kommt drauf an, wo man aufgewachsen ist. Mein Freund Hans Apel war immer Anhänger von St. Pauli, und ich bin immer ein ganz weit entfernter Anhänger des HSV gewesen.
    Noch nie waren so viele Deutsche Mitglied in einem Sportverein oder in einem Fitnessclub.
    Das hängt mit der Verstädterung der Gesellschaft und dem Rückgang der körperlichen Arbeit zusammen. Vor 100 Jahren auf der Werft in Hamburg zu arbeiten, als Nieter oder als Schweißer, das war in erheblichem Maße körperliche Arbeit. Die Sportvereine schaffen den Ausgleich für die Abwesenheit körperlicher Arbeit, jedenfalls für die aktiven Mitglieder, nicht für die alten Herren, die nur zugucken.
    In der Dokumentation, die Sandra Maischberger über Sie gedreht hat, entsteht auch nicht gerade der Eindruck, als seien Sie besonders sportlich gewesen.
    Der Eindruck ist nicht ganz richtig. Als junger Mann war ich sehr sportlich. Mit der Ausnahme von Skilaufen, das zu teuer war für einen Hamburger, habe ich fast alles gemacht: Leichtathletik, Handball, Fußball, Rudern, Segeln.
    Am liebsten sind Sie bestimmt gesegelt?
    Ich habe noch bis nahe an das achtzigste Lebensjahr selber Jolle gesegelt. Wenn Sie kentern, müssen Sie in der Lage sein, im Wasser das Boot selber wieder aufzurichten und weiterzusegeln. Das alles habe ich gemacht, bis meine Frau der Meinung war: Nun bist du zu alt, um das Kentern zu riskieren, denn das kalte Wasser könnte dir einen Herzschlag bereiten.
    Ich kenne nur einen ehemaligen Spitzenpolitiker, der in etwa Ihr Alter hat und immer noch Sport treibt: Richard von Weizsäcker.
    Ja, der ist viel fitter.
    Ein bisschen.
    Nein, bitte nichts vormachen: Gesundheitlich geht es mir schon seit vielen Jahren nicht gut.

    31. Oktober 2007

[ Inhalt ]
    Vor Loki gab es keine
    Über Erwachsenwerden
und erste Liebe
    Lieber Herr Schmidt, wann haben Sie eigentlich zum ersten Mal gedacht: Jetzt bin ich erwachsen?
    Ich glaube, dieser Gedanke ist mir so nie gekommen.
    Fühlten Sie sich als Jugendlicher nie minderwertig gegenüber Erwachsenen, so wie das Stefan Zweig beschreibt in seinem Buch »Die Welt von gestern«?
    Nein. Als ich endlich aus dem Krieg nach Hause kam, war ich beinahe schon 27 Jahre alt, und was formale Bildung und Ausbildung angeht, hatte ich nichts als das Abitur. Trotzdem war ich ein erwachsener Mann. Ich war inzwischen ja auch verheiratet.
    Gab es noch irgendetwas anderes als diesen verdammten Krieg, das Sie und Ihre Generation sich eher erwachsen fühlen ließ als die Generation heute?
    Mich hat auch etwas anderes sehr geprägt, ich habe Ihnen das schon mal erzählt: der Umstand, dass ich einen jüdischen Großvater hatte, was mein Vater und später mein Bruder und ich den Behörden gegenüber durch eine Manipulation des Arier-Nachweises verheimlicht haben. Wir hatten natürlich Angst, dass das rauskommt. Mein Vater war von dieser Angst vielstärker erfasst als ich. Er fürchtete, seine Stelle im Schuldienst zu verlieren.
    Sind Sie irgendwann einmal in Ihrem Leben stolz darauf gewesen, einen jüdischen Großvater zu haben?
    Nein, weder stolz noch sonst was. Ich war auf den Großvater eigentlich eher böse, weil er seinen Sohn verleugnet hatte.
    War Ihr Vater ein uneheliches Kind?
    So war das.
    Und sind Sie Ihrem Großvater jemals begegnet?
    Nein.
    Ist man mit 18 Jahren Ihrer Meinung nach wirklich schon so erwachsen, dass man wählen gehen kann?
    Natürlich gibt es junge Menschen, die mit 18 ganz genau wissen, was sie tun und warum sie es tun. Aber generell hätte ich die Volljährigkeit nicht von 21 aufs 18. Lebensjahr heruntergesetzt,

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