Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt
Atlantiks keine großen Aufregungen auszulösen.
Sie hätten daraus politisches Kapital schlagen können.
Das tue ich vielleicht heute, indem ich darüber rede. Ich treffe meinen Freund Melvin Laird hoffentlich Ende dieses Monats – ein letztes Mal in diesem Leben.
Sie haben vor, ein letztes Mal nach Amerika zu fahren?
Ja. Die damaligen Pläne waren weit gediehen. Ich habe gesagt, wenn irgendein kommunistischer Kommandeur in der Verfolgung irgendwelcher flüchtigen Leute über die Grenze rüberkommt und eine atomare Mine geht hoch, dann heben alle deutschen Soldaten die Hände hoch, dann ist Schluss mit der Verteidigung. Dieses Argument hat den amerikanischen Verteidigungsminister überzeugt. Er war genau wie ich ein alter Soldat und wusste, was man Soldaten zumuten kann und was nicht.
Verstehe ich nicht.
Sogar die japanischen Soldaten haben nach der ersten Bombe die Hände hochgehoben. Die zweite Bombe auf Nagasaki war gar nicht mehr notwendig.
Die Massendemonstration im Bonner Hofgarten gegen die Stationierung amerikanischer Raketen in Deutschland wurde als regelrechte Anti-Schmidt-Demonstration verstanden, das war im Jahr 1981.
Die war auch wohl so gemeint. Aber es war im Wesentlichen die Angst vor dem Atomkrieg. Die Anti-Schmidt-Komponente spielte eine zweit- oder drittklassige Rolle; denn mein Amtsnachfolger Helmut Kohl musste etwas später eine gleiche Demonstration aushalten.
Wissen Sie noch, was Willy Brandt damals zu den Protesten von mehr als 300 000 Menschen gesagt hat?
Ich erinnere mich nicht.
Er habe auf deutschem Boden schon Schlimmeres gesehen als eine Massendemonstration für den Frieden.
Ja, das würde ich unterschreiben. Ich habe auf deutschem Boden auch schon viel Schlimmeres gesehen; Willy Brandt hat es von draußen gesehen.
Nimmt das Brandts Worten etwas?
Keineswegs. Wohl aber hat der Nato-Doppelbeschluss, gegen den die beiden Demonstrationen sich richteten, zum allerersten Abrüstungsvertrag und auf beiden Seiten zur Beseitigung aller atomaren Mittelstreckenwaffen geführt.
29. November 2007
[ Inhalt ]
»Die Oper –
eine nicht geglückte Kunstform«
Musikalische Vorlieben 1
Lieber Herr Schmidt, wie findet ein Religionsskeptiker wie Sie Zugang zur religiösen Innerlichkeit eines Johann Sebastian Bach?
Darüber muss ich erst mal nachdenken.
Wollen Sie es tun?
Ich würde es so sagen: Das, was Sie religiöse Innerlichkeit nennen, hat mich bei Bach nie gestört.
Und was hat Sie fasziniert?
Die unglaubliche Klarheit seiner Musik.
Kann man die loslösen von seinem Glauben?
Wenn man Bach gerecht beurteilen will, kann man es nicht. Aber mich haben die Texte seiner großen Passionen nie sonderlich berührt. Allerdings: Die Goldberg-Variationen – für mich die Inkarnation Bach’scher Musik – haben eben keine Texte.
Ist das Ihre Lieblingskomposition?
Ja.
Und Bach ist Ihr Lieblingskomponist?
Kann man so sagen. Das Wort Lieblingskomponist klingt allerdings ein bisschen zu niedlich.
Was dann? Der Komponist, der Sie am meisten berührt?
Ja, das kann man sagen. Entscheidend ist für mich die Konsequenz der Musik: Nehmen Sie nur seine Fugen. Da steckt ja auch eine ganze Menge Mathematik drin, ohne dass es wahrscheinlich Bach selbst ganz bewusst gewesen ist.
Was verbinden Sie mit den Goldberg-Variationen?
Glenn Gould! Das ist für mich der herausragende, faszinierende Interpret. Es gibt drei auf Platten aufgenommene Gould-Einspielungen, die sich alle ein bisschen unterscheiden.
Sie haben alle drei?
Ich habe sie alle abgegeben an die Hamburger Hochschule für Musik. Ich kann ja nicht mehr richtig hören.
Haben Sie Gould selbst mal erlebt?
Nein. Aber ich habe zum Beispiel Dave Brubeck erlebt. Sagt Ihnen der Name noch was?
Meinen Sie den amerikanischen Jazzpianisten?
Ja, ich habe ihn in Chicago und in New York spielen sehen, das war, glaube ich, in den Sechzigerjahren. Der hätte auf seine Art als Jazzmusiker auch Bach spielenkönnen. Glenn Gould wäre davon vielleicht nicht begeistert gewesen, aber ich wäre es.
Ich hätte gedacht, dass Ihnen so ein norddeutscher Spätromantiker wie Brahms näher wäre als Bach.
Ich habe zwar eine romantische Ader wie alle Deutschen, und Brahms oder Mahler sagen mir durchaus etwas. Aber Bach ragt noch ein Stück heraus.
Wenn Sie Bach vor allem ohne Texte so verehren, müssen Ihnen Opern dann nicht ein Gräuel sein, vor allem die italienischen?
Nein, nicht die italienischen. Manche italienische Opern haben ja wunderbare Musik. Wenn
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