Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt
seriöse Tageszeitungen und Regionalzeitungen: Überall lesen Sie zum Beispiel Überschriften, wie viel Prozent arme Kinder in Deutschland leben. Manches, was man heute als Armut beklagt, wäre in meiner Kindheit beinahe kleinbürgerlicher Wohlstand gewesen.
18. Oktober 2007
[ Inhalt ]
Man muss sie nehmen
wie das Wetter
Über Journalisten
Lieber Herr Schmidt, wenn Sie an Ihre politischen Anfänge denken, hatten Sie es damals leichter mit den Medien, als es Politiker heute haben?
Weder leichter noch schwerer. Die Medien spielten auch damals eine wichtige Rolle. Als ich in die Politik eintauchte, damals war ich 35 Jahre alt, gab es nur zwei Medien, die Tageszeitung und das Radio. Und dann noch den Spiegel , die ZEIT und einige wenige andere.
Waren weniger Medien umso mächtigere Medien?
Nicht so mächtig wie heute. Die waren auch nicht in demselben Unmaße in Konzernen zusammengefasst wie heute. Der erste große Medienkonzern wurde dann der Springer-Verlag.
Sie haben Axel Springer gekannt. Haben Sie ihn geschätzt?
Wir haben uns ganz gut gekannt, und ich habe ihn durchaus geschätzt, bis in die späten Fünfzigerjahre, als er tief enttäuscht von einem Moskaubesuch zurückkam. Von da an hat er sich verändert, er wurde einseitig. Da ist unser Verhältnis abgekühlt.
Es mag weniger Medienkonzentration gegeben haben, aber es gab doch Verleger und Publizisten, die großen politischen Einfluss genommen haben.
Ja, aber sie waren alle verschiedener Meinung, ob in der Innen- oder Sozialpolitik, in der Wirtschafts- oder Außenpolitik. Heute gibt es unverkennbar eine Reihe von Massenmedien, die der Linie ihres Verlages folgen. Das gilt auch für einige Fernsehanstalten.
Neben Axel Cäsar Springer haben Sie es mit den legendären Publizisten Rudolf Augstein, Gerd Bucerius und Henri Nannen zu tun gehabt. Wer war der Mächtigere?
Das ist eine interessante, aber nicht die zentrale Frage. Wichtiger wäre die Frage: Wer war der Unabhängigere?
Wer war’s?
Das waren sie alle drei, sehr unabhängig. Und das war in meinen Augen ein gewaltiges Positivum. Es hat aber zum Beispiel Henri Nannen nicht davor bewahrt, sich bisweilen zu verrennen. Er war mehr Blattmacher als Verleger. Augstein war beides, und Bucerius war nur Verleger. Aber auch Blattmacher und Verleger müssen auf die Verkäufe achten. Und da waren sie alle drei nicht ganz unabhängig, Bucerius vielleicht noch am meisten.
Was ist Ihre Lebenserfahrung: Kann man als Politiker auch gegen die Meinung der Medien bestehen?
Ja, man muss nur fähig sein, im Fernsehen einen guten Eindruck zu machen.
Gerhard Schröder ist ein Beispiel dafür.
Ja, auch Willy Brandt ist ein Beispiel – und Helmut Kohl nach 1989.
Haben Sie sich mal besonders schlecht behandelt gefühlt von den Medien?
Nein. Ich hab die so genommen, wie man das Wetter nehmen muss. Man kann das Wetter nicht ändern, ob es regnet oder die Sonne scheint.
Haben Sie sich nie beschwert?
Beschwert? Nein!
Glaube ich nicht.
Was ich getan habe, war, Leserbriefe zu schreiben. Aber selten, vielleicht alle drei Jahre einmal.
Warum dann das böse Wort von den Wegelagerern?
Der Wegelagerer! Das hat ein Journalist vom anderen abgeschrieben. In Wirklichkeit war das so, dass die Tagesreporter vom Fernsehen überall mit ihrer Flüstertüte auf einen lauerten, selbst, wenn man zum Lokus marschiert ist. Da hab ich gesagt: »Ihr Wegelagerer macht mir hier Platz, ich muss pinkeln!«
Jetzt sind Sie schon fast 25 Jahre bei der ZEIT . Sind Sie inzwischen wenigstens ein bisschen Journalist?
Ich fürchte nicht, und wissen Sie, warum?
Mir schwant nichts Nettes …
… weil ich es mir einfach nicht abgewöhnen kann, gründlich zu arbeiten! (Helmut Schmidt lacht)
25. Oktober 2007
[ Inhalt ]
Skilaufen war zu teuer
Über den Sport
Lieber Herr Schmidt, Ihr Lieblingsdichter und Freund Siegfried Lenz hat den Roman »Brot und Spiele« geschrieben …
… muss Sie enttäuschen, ich kenne dieses Buch von Siggi Lenz leider nicht.
Es handelt von einem Langstreckenläufer, der für seine Sportkarriere alles aufs Spiel setzt und scheitert. Parallelen zur Politik sind natürlich rein zufällig.
Gut, das Prinzip »Brot und Spiele«, panem et circenses, ist mindestens 2000 Jahre alt. Es diente im alten Rom dazu, dem Kaiser oder den Leuten, die Kaiser werden wollten, klarzumachen, worauf es ankam, wenn man dieses große römische Reich dauerhaft regieren wollte. Leider ist dieses Prinzip auch heute noch zweckmäßig,
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