Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt
Herrn Schäubles Überlegungen verständlich.
Also gibt es doch einen Anlass für Forderungen, die Bundeswehr im Inneren einzusetzen?
Den Anlass kann ich erkennen, aber die Schlussfolgerung teile ich nicht. Der Anlass ist die Besorgnis vor dem wachsenden Terrorismus, besonders dem islamistischen. Aber ich würde nicht zum Ergebnis kommen, von vornherein statt der Polizei das Militär einzusetzen. Es ist jedenfalls nicht ratsam, für jeden theoretisch denkbaren Notfall die Abhilfe gesetzlich vorzuschreiben.
Weil es immer eine unverhältnismäßige Reaktion geben könnte?
Das ist der richtige Ausdruck: Polizisten werden dazu erzogen, staatliche Gewalt nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel auszuüben.
Nun sind Sie wie kein anderer deutscher Politiker von Terroristen geprüft worden. Haben Sie in den Siebzigerjahren jemals überlegt, die Bundeswehr einzusetzen?
Nein.
Stimmt es, dass Sie hier bei der ZEIT früher in Bewerbungsgesprächen mit Journalisten die Frage stellten: »Haben Sie auch gedient?«
Nein, das ist eine journalistische Erfindung.
3. Juli 2008
[ Inhalt ]
»Ich schätze jeden Widerspruch«
Über Führung
Lieber Herr Schmidt, gibt es ein bestimmtes Prinzip, nach dem Sie Ihre Mitarbeiter geführt haben?
Das ist eine Frage, die ich nicht aus dem Handgelenk beantworten kann; denn ich habe darüber bisher nicht nachgedacht.
Ted Sommer, der für Sie mal als Staatssekretär gearbeitet hat, beschreibt es so: Problemidentifizierung, Definition der Notwendigkeiten und Möglichkeiten, Diskussion der Vorschläge, schließlich Beschluss und Ausführung.
Ich bin nicht sicher, ob ich bei jedem Problem die Definition des Problems an den Anfang gestellt habe. Jede wichtige Entscheidung habe ich erst nach sorgfältiger Diskussion getroffen. Es gab allerdings auch Entscheidungen, die für mich so eindeutig waren, dass es keiner Diskussion bedurfte.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel eine Rede in London, die ich nach einer offiziellen Ansprache beim Abendessen im kleineren Kreise gehalten habe über die sowjetische Bedrohung mit atomaren Mittelstreckenraketen. In mir brodelte es, ich habe frei geredet. Das führte später zu dem berühmten Nato-Doppelbeschluss. Dasentgegengesetzte Beispiel: Bei der Entführung von Schleyer und bei der Geiselnahme in Stockholm haben wir jeden Schritt vorher in einem nicht ganz kleinen Kreis von politisch Verantwortlichen überlegt. Und zwar keineswegs nur unter Regierungspersonen, Strauß und Kohl waren auch beteiligt.
Es heißt, Sie hätten Widerspruch immer geschätzt.
Oh ja. Er musste aber begründet sein. Ich schätze jeden Widerspruch und jede begründete Kritik. Das gilt auch heute noch für den 89-Jährigen.
Sie waren nie beleidigt, wenn Sie jemand kritisiert hat?
Nein, ich habe ein ganz dickes Fell. Allerdings habe ich mich manchmal künstlich aufgeregt.
Wenn man ein Ministerium übernimmt, gibt es da eine Technik, um sich ein Bild zu verschaffen, was im eigenen Hause vor sich geht?
Das sind zwei verschiedene Fragen. Die eine Frage ist, wie man den Stoff bewältigt. Dazu muss man arbeiten: Bücher und Akten lesen, Gespräche führen mit Leuten, die das Sachgebiet beherrschen. Eine ganz andere Frage ist, wie man sein eigenes Haus kontrolliert: Man muss nicht nur mit den Spitzen des Hauses in Kontakt sein, sondern ab und zu bis auf die Referentenebene herunter die Leute zum Vortrag bringen.
Fallen die nicht um, wenn sie vor dem Minister stehen?
Einige ja, beinahe. Aber es gibt auch Mitarbeiter,denen es nicht sonderlich imponiert, wenn sie zu ihrem Minister kommen müssen.
Wie lange braucht man, um so ein Haus im Griff zu haben?
Eigentlich nicht länger als ein Vierteljahr. Aber es gibt Minister, die es auch innerhalb von vier Jahren nicht schaffen.
Glauben Sie, dass Sie ein guter Motivator waren?
Ich bilde mir ein, auch heutzutage noch andere Leute zu motivieren.
Können Sie auch loben?
Ich habe im Laufe des Lebens gelernt, dass es notwendig ist, andere Leute auch zu loben. Ich selber bin kaum jemals von einem Vorgesetzten gelobt worden; aber ich habe das Lob auch nicht vermisst.
Beneidenswert, wenn man sich selbst ein Maßstab sein kann!
Selbstmaßstab wäre eine Übertreibung. Sie können sagen, der Schmidt war eingebildet genug, auf fremdes Lob verzichten zu können.
Dann haben Sie auch nie ein Management-Erfolgsbuch in den Händen gehabt?
Um Gottes willen!
10. Juli 2008
[ Inhalt ]
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