Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt
holländische; am ehesten noch die englische Gesellschaft.
Ich zitiere aus Ihrer ersten Regierungserklärung vom 17. Mai 1974: »Wirtschaftliche Not und Massenarbeitslosigkeit haben einst das Feuer entfacht, in dem die erste deutsche Republik verbrannt ist. Dieser Lehre haben alle Regierungen zu folgen.«
Hier wurde darauf angespielt, dass die ökonomische Depression der Jahre 1929 und folgende ein ganzes Volk vom Pfad der Tugend abbringen konnte. Das würde ich auch für die Zukunft so sagen. Das muss aber nicht notwendigerweise nach rechts außen führen. Die Weimarer Republik ist zugrunde gegangen, weil die Weimarer Koalition der Wirtschaftskrise nicht gewachsen war und weil Nazis und Kommunisten sie sodann gemeinsam kaputt gemacht haben.
Sehen Sie Deutschland im Moment von links gefährdet?
Im Augenblick macht mir der publizistische Erfolg dieser linksextremen Partei Sorgen.
Sie meinen die Medienresonanz auf die Linkspartei?
Ja, auch die Darstellung in den Sabbelshows im Fernsehen. Die Sorge muss einstweilen aber nicht tief gehen.
Aber es ist doch ein Unterschied, ob man Gysi oder Lafontaine sieht oder kahl geschorene Neonazis in schwarzen Klamotten, die durch Hamburg ziehen, wie vor ein paar Wochen.
Sie sehen zwar verschieden aus, sind aber beide als Demokraten nicht zu brauchen. Ich habe viel schlimmere Dinge im Laufe meines Lebens gesehen als die kahl geschorenen Jugendlichen. Die können mich nicht erschrecken.
Finden Sie es richtig, die Auseinandersetzung mit diesen rechten Gruppen zu suchen, oder muss man sie öffentlich ignorieren?
Es kommt darauf an, wer sich mit ihnen auseinandersetzt: Ich mit meinen 89 Jahren wäre dazu nicht geeignet.
Gut, aber wenn Sie noch aktiv in der Politik wären?
Wenn sich ein Rechtsradikaler im Bundestag danebenbenimmt, würde ich ihm Kontra geben; und ich gehe davon aus, dass der Präsident ihn entsprechend anfasst. Man kann ihn öffentlich sichtbar und hörbar zur Schnecke machen. Das würde ich dann tun. Ob auch als Bundesminister – weiß ich nicht. Und als Kanzler: höchstens einen Satz.
19. Juni 2008
[ Inhalt ]
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Über Bundeswehreinsätze
im Inneren
Lieber Herr Schmidt, es ist bislang noch nie vorgekommen, dass Sie schon vorab erklärt haben, unbedingt über ein Thema sprechen zu wollen …
… ja, über den Unterschied zwischen Polizei und Armee.
Warum gerade jetzt?
Der aktuelle Anlass ist die Diskussion über die Frage, ob man im Notfall auch Bundeswehrsoldaten im Inneren des Landes einsetzen solle oder dürfe.
Das ist ein besonderes Anliegen von Herrn Schäuble!
Das Thema beschäftigt mich seit 1961, als ich Polizeisenator wurde – so hieß das Amt des heutigen Innensenators damals in Hamburg. Als ich die Polizei übernahm, wurden die jungen Polizeibeamten noch genauso ausgebildet wie ich 1937 als Soldat, nämlich endlos in primitivem Kasernenhof-Drill. »Schleifen« nannte man das.
Sie fanden das übertrieben?
Ja! Das war eine in meinen Augen völlig abwegigeAusbildung. Im Prinzip muss es große Unterschiede in der Ausbildung von Soldaten und Polizeibeamten geben. Der Polizist soll die gesetzliche Ordnung wahren oder wiederherstellen; dafür bekommt die Polizei rote Signalkellen, Schlagstöcke, Wasserwerfer und so weiter. Soldaten jedoch erhalten ausschließlich tödliche Waffen, denn sie sollen einen Krieg gewinnen. Die Tragödie auf dem Tiananmen-Platz, 1989 in Peking, hat mich später erneut über diesen großen Unterschied nachdenken lassen.
Panzer gegen die Studenten!
Jedenfalls militärische Einheiten. Als nach langen Demonstrationen die Staatsführung sich zum Eingreifen entschloss, hatte sie keine polizeilich ausgebildeten Einheiten zur Verfügung und setzte das Militär ein. Wenn man Soldaten in gewaltsame Auseinandersetzungen verwickelt, dann können sie nur schießen.
Man fühlt sich bei den Protesten in Tibet daran erinnert.
Nach allem, was man weiß, ist in Tibet Militärpolizei eingesetzt worden. Das ist ein Mittelding zwischen Polizei und Militär, es sind aber Soldaten. Soldaten werden dazu erzogen, den Gegner auszuschalten. Das heißt: zu töten.
Deshalb kann man nur davor warnen, die Bundeswehr in Deutschland einzusetzen?
Ich bin sehr skeptisch gegenüber der Idee, Soldaten mit polizeilichen Aufgaben im Inneren zu betrauen. Aber es gibt Grenzfälle. Wenn zum Beispiel Terroristenein Flugzeug gekapert haben, dann kann ein Polizeihubschrauber dagegen wenig ausrichten. Insofern sind
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