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Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt

Titel: Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni di Lorenzo Helmut Schmidt
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anständige Antwort. Schimpfbriefe wandern gleich dahin, wo sie hingehören. Die schönsten werden gesammelt.
    Wie bewältigen Sie das organisatorisch?
    Insgesamt habe ich fünf Mitarbeiter, die zum Teil in Hamburg und zum Teil in Berlin sitzen; zweimal die Woche geht ein Pilotenkoffer voll Papier hin und her. Es gibt auch manche Briefe, für die ich die Antwort selber diktiere; die muss dann meine Sekretärin auf der Maschine tippen. Die Sekretärin ist aber auch deshalb von ganz großer Bedeutung für mich, weil ich auf ihrem Gesicht sehen kann, ob das verständlich ist, was ich diktiere.
    Haben Sie keine Angst vor grammatischen oder orthografischen Fehlern?
    Grammatische Fehler würde ich mir selber zurechnen müssen, orthografische Fehler würde ich bemerken, ehe ich die Sache unterschreibe.
    Es fällt auf, dass in Ihrem Briefkopf nur »Helmut Schmidt« steht, nie »Bundeskanzler a. D.«.
    Um Gottes willen, nein! Ich verbitte mir solche Anreden. Ich bin ein normaler Bürger.
    Nein, das sind Sie nicht!
    Gut, ich korrigiere mich: Ich möchte als ein normaler Bürger gelten. (Lacht)
    Schreiben Sie Briefe auch mit der Hand?
    Ganz selten.
    Haben Sie eine leserliche Schrift?
    Nein, das ist ja das Problem. Jeden Füllfederhalter habe ich ruiniert, weil meine Hand schwerfällig ist. Ich habe immer nur mit Kugelschreiber geschrieben – oder mit Filzstift.
    Gibt es einen Brief in Ihrem Leben, den Sie in besonderer Erinnerung behalten haben?
    Ich habe einmal einen sehr langen Brief mit der Hand geschrieben. Kurz nach Ende des Krieges erfuhr ich durch Zufall die Adresse der Witwe des von den Nazis hingerichteten Botschafters von Hassel. Damals habe ich der Witwe geschrieben, weil ich als Zuhörer zu dem Prozess gegen ihren Ehemann abkommandiertwar. Und weil Hassel mir außerordentlich imponiert hatte.
    War das vor Freislers Volksgerichtshof?
    Ja, eine schreckliche Erinnerung. Auf irgendeine Weise ist der Entwurf dieses Briefes erhalten geblieben, ich habe ihn Jahre später wiedergefunden. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, ist das der einzige lange Brief, den ich mit der Hand geschrieben habe.
    Hat Frau von Hassel reagiert?
    Oh ja, sie hat sich ausführlich bedankt!
    Haben Sie nicht auch Loki Briefe geschrieben, als Sie im Krieg waren?
    Viele, aber keine sehr langen. Im Krieg schrieb man sich keine langen Briefe. Die sind fast alle verbrannt, als Hamburg ausgebombt wurde.
    Vor einigen Jahren ist ein Buch mit den Briefen herausgekommen, die sich Gräfin Dönhoff und Gerd Bucerius bei der ZEIT geschrieben hatten. Standen Sie mit den beiden auch im Briefkontakt?
    Kaum. Das war eine mir etwas befremdliche Sitte, sich innerhalb desselben Hauses auf demselben Flur Briefe zu schreiben.
    Lesen Sie eigentlich E-Mails?
    Wenn sie an mich gerichtet sind, ja, aber in ausgedruckter Form.
    Bedauern Sie, dass Sie selber keine E-Mails schreiben können?
    Nein. Ich bin froh, dass ich sie nicht schreiben muss.

    12. Juni 2008

[ Inhalt ]
    »Die können mich
nicht erschrecken«
    Über alte und neue Nazis
    Lieber Herr Schmidt, von Bertolt Brecht stammt das auf Hitlers Schreckensreich gemünzte Epigramm: »Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.« Er schrieb es 1955. Hatte er recht?
    Nein. Ich habe schon in der ersten Nachkriegszeit nie die Sorge gehabt, dass die Nazis noch eine große Rolle spielen könnten.
    Nie?
    Nie, auch wenn mir klar war, dass man es in der Wirtschaft, in der staatlichen oder kommunalen Verwaltung und im öffentlichen Leben auch mit Leuten zu tun haben würde, die Mitläufer und Nutznießer gewesen waren.
    Weil Opportunisten sich zur Not auch mit der Demokratie arrangieren?
    Ja, sie waren inhaltlich keine Nazis. So musste man nicht einmal Angst haben, wenn ein Mitläufer zum Beispiel Bundesminister oder sogar Bundespräsident wurde. Andererseits war davon auszugehen, dass eine Reihe von innerlich überzeugten und im Charakter mit Brutalität ausgestatteten Personen überlebt hatte und sich nicht ohne Weiteres einfügen würde. Das hat man dann beider Gründung einer Reihe von rechtsextremen Parteien gesehen; zwei sind vorübergehend in den Bundestag gekommen. Aber Angst hat mir das nie gemacht.
    Glaubten Sie wirklich, dass die Deutschen gegen den Rechtsextremismus immun geworden waren?
    Nein, nicht immun. Keine westeuropäische Gesellschaft ist immun gegenüber Rechtsextremismus; nicht die deutsche, nicht die französische – siehe Le Pen –, nicht die italienische, nicht die belgische, nicht die

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