Auf einmal ist Hoffnung
drei bist du in Sicherheit.«
»Bitte, Mon, laß mich bei dir bleiben.«
Ein Aufseher tauchte auf, und sie brachen ihr Gespräch schlagartig ab.
Vor der Mittagspause wurden sie einem der berüchtigten ›Pendeltransporte‹ zugeteilt. Sie mußten in der Lagerhalle von einem Waggon zum anderen Zementsäcke schleppen und dabei durch ein Spalier von SS-Leuten Spießruten laufen, und diese Männer traten sie mit Füßen und trieben sie mit Stockschlägen zu immer größerer Eile an.
Auf einmal brach Louis unter der Last eines Sackes zusammen. Sofort war Monroe bei ihm und half ihm wieder auf die Beine. Doch da stand schon ein Aufseher vor ihnen und notierte sich beider Nummern. »Morgen im Lager Kartoffelschleppen!«
Sie wußten beide, was ihnen bevorstehen würde. Sie kannten die schweren, großen Holzkisten mit den langen Griffen nur zu gut, die von jeweils zwei Mann geschleppt werden mußten und, einschließlich der Kartoffeln, über einhundertfünfzig Kilo wogen. Ein geradezu mörderisches Unternehmen.
Bei dieser Arbeit wurden die Häftlinge mit Peitschenhieben angetrieben. Konnte ein Häftling vor Entkräftung einen der Griffe nicht mehr halten, kam es zur ›Exekution‹: Er mußte sich vor dem Aufseher verneigen. Der packte einen bereitstehenden Schemel und schlug ihn dem Häftling ins Genick. Im allgemeinen war der Häftling auf der Stelle tot.
In der Mittagspause saßen Monroe und Louis auf dem Trittbrett eines der Waggons in der Lagerhalle und aßen schweigend ihre wäßrige Suppe. Als niemand mithören konnte, begann Monroe zu flüstern.
»Willst du noch immer zurück ins Lager?«
»Nein«, sagte Louis nachdenklich, »jetzt weiß ich, daß ich den morgigen Tag nicht überstehen würde.« Dann ergänzte er: »Und du?«
»Ich stehe es durch. Und wir werden uns wiedersehen.«
»Komm bald nach.«
Monroe nickte. »Ich muß dir noch etwas sagen.« Er bewegte die Lippen kaum und behielt die Umgebung im Auge. »Von Brunn wirst du nach Wien weitergeleitet, und von dort an bleibst du dir selber überlassen. Hast du dich schon entschieden, wohin …?« Er vollendete den Satz nicht und wartete gespannt auf die Antwort des Freundes.
»Ich werde in Berlin meine Eltern suchen«, sagte Louis tonlos. Er konnte nicht wissen, daß seine Eltern schon seit langem nicht mehr lebten.
»Und wenn die Suche – vergebens ist?« fragte Monroe zögernd. Er war stets Realist.
Louis schwieg betroffen und hatte den Kopf gesenkt.
»Ich drücke dir die Daumen, daß du deine Eltern findest«, flüsterte Monroe, »aber ich will auch dich wiederfinden.«
»Du kennst den Namen meines Onkels.« Louis sprach zum Zementboden hin.
»Joseph Milstein«, bestätigte Monroe.
»In Boston«, vollendete Louis und setzte hinzu: »Newbury Street.«
Ein Aufseher tauchte auf, und sie wechselten das Thema.
Bald danach nahmen sie die Arbeit wieder auf. Je näher es auf drei Uhr zuging, um so mehr glaubte Louis, daß er zusammenbrechen würde. So sehr erschütterte ihn der Abschied von Monroe.
Kurz vor drei Uhr drückte er ihm verstohlen flüchtig die Hand. »Mach's gut, Mon.«
Monroe preßte die Lippen zusammen und nickte unmerklich. In ihren Augen standen Tränen.
Dann meldete Louis dem Aufseher, daß er Durchfall habe. Der begleitete ihn mürrisch zu den Toiletten, bezog davor Posten, und Louis verschwand in der Tür. Das war das letzte Bild, das Monroe damals von seinem Freund sah.
Drei Monate später wußte Louis, daß seine Eltern nicht mehr lebten. Freunde in Berlin gaben ihm Geld für die Flucht nach Amerika. Nach weiteren vier Monaten traf er in Boston ein.
Monroe mußte noch viele Greuel und Schmach erdulden, bis der siebenundzwanzigste Januar neunzehnhundertfünfundvierzig kam.
Gegen drei Uhr nachmittags war es endlich soweit. Sowjetische Soldaten der Sechzigsten Armee befreiten das Lager Auschwitz.
Die Häftlinge fielen einander in die Arme und weinten vor Freude. Unter ihnen befand sich auch Monroe Moses Kahn, der beinahe bis zum Skelett abgemagert war.
12
Jennifer Kahn und Patrick Hamilton wagten vor Ergriffenheit kaum zu atmen. Ihre Blicke waren auf Louis Hornberger gerichtet, der seinen Bericht gerade beendet hatte.
Der Wind hatte inzwischen zugenommen.
Es dauerte eine Weile, bis Jennifer gedankenversunken zu sprechen begann. »Vater hat mir zwar von seiner Zeit in Sachsenhausen und Auschwitz erzählt, aber nicht die Geschichte dieser Trennung.« Sie war noch immer aufgewühlt und starrte auf den Fußboden.
Wieder
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