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Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Titel: Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Naumann
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Denken, ihrem Wissensdrang, ihrem Verlangen nach moralischer und intellektueller Vervollkommnung. Trotz ihres unweiblichen Gesprächsstils erscheint sie als Frau ausgesprochen reizvoll, jedenfalls für Männer. Amelia Opie, selbst eine klassische Schönheit, wußte das nicht nur von ihrem Ehemann, dem Maler John Opie, der Mary mehrmals porträtiert hat.
    »Attraktiv eher als hübsch, das war das passendste Wort, um sie zu beschreiben. Ihre Schönheit lag im Ausdruck ihres Gesichts, nicht in der Regelmäßigkeit ihrer Züge, obwohl ihr dieungewöhnliche Helligkeit und Regelmäßigkeit ihres Teints, der Glanz ihrer haselnußbraunen Augen und die Fülle des weichen hellen Haares, das in Locken über ihre rosigen Wangen fiel, einigen Anspruch auf das, was man Schönheit nennt, verliehen. Aber ihr eigenes Geschlecht erklärte, daß sie nach nichts aussah – und vielleicht hatte es recht – obwohl das andere gegen diese Entscheidung protestierte –, und vielleicht hatten sie auch recht: aber Frauen kritisieren Details, während Männer das Ganze bewundern. Frauen argumentieren, und Männer fühlen, wenn sie über weibliche Schönheit urteilen; und wenn eine Frau eine andere für reizlos erklärt, ist es sehr wahrscheinlich, daß sie sich im Recht glaubt, weil sie als Frau die zauberische Gabe zu gefallen nicht wahrnehmen kann, ›das gewisse Etwas, kostbarer als Schönheit‹, das oft einen Schleier über die Unregelmäßigkeit von Zügen wirft und sogar einer eigentlich unscheinbaren Frau, zumindest von Männern, die Bezeichnung hübsch verschafft.
    Ob Adelines Gesicht unschön war oder nicht, ihre Figur konnte sogar der Strenge weiblicher Kritik trotzen. Sie war groß, fast wie ein Mann; aber ihre Gliedmaßen waren so weiblich und wohlgeformt, ihre ganze Gestalt so ebenmäßig, ihre Bewegungen so leicht und anmutig, und so echt weiblich waren ihr Blick und ihre Manieren, daß man ihre übermäßige Größe bei der übermäßigen Schönheit ihrer Figur vergaß.«
    Zum erstenmal begegneten sich die 32jährige Mary Wollstonecraft und der 35jährige William Godwin alias Frederick Glenmurray bei einem dinner im Hause des Londoner Verlagsbuchhändlers Joseph Johnson. Es war der 13. November 1791.
    Der Name Johnson stand für ein Programm, eine Kultur. Dieser ruhige, zurückhaltende, ja scheue Mann bemühte sich nach Kräften, dem Projekt Aufklärung in England zum Erfolg zu verhelfen und den Boden für eine bessere, gerechtere Gesellschaft zu bereiten. Sein Herz schlug für die Schwachen. Bei ihm publizierten Dissenter wie Richard Price und Joseph Priestley, die für religiöse Toleranz plädierten (Katholiken ausgenommen) und in der neuen amerikanischen Verfassung ein hoffnungsvolles Vorbild für das eigene Land sahen; in seinem Verlag erschienen bahnbrechende wissenschaftliche Abhandlungen, pädagogische Schriften, Kinderbücher (ein besonderes Anliegen) und ein juristischer Ratgeber für Frauen – Laws Respecting Women, as they Regard Their Natural Rights  –, die meist keine Ahnung von ihren wenigen Rechten hatten und deshalb in der Regel betrogen und übervorteilt wurden. Um seine Publikationen für möglichst viele Menschen erschwinglich zu machen, sparte er an ihrer Ausstattung.

    22  Joseph Johnson. Stich von William Sharpe
nach einem Gemälde von Moses Haughton.
    Sein dreistöckiges Haus nahe der St. Paul's Cathedral – 72 St. Paul's Churchyard – im Herzen des Londoner Geschäftsviertels war ein Ort der Begegnung für seine Autoren und Freunde – a sort of Menagerie of live authors  –, für nonkonformistische, liberale, radikale Intellektuelle, Philosophen, Theologen, Pädagogen, Wissenschaftler und Künstler. Johnsons Tischgesellschaften (in einem kleinen Eßzimmer mit schiefen Wänden) waren legendär, wegen der illustren Gäste und der interessanten Gespräche, die oft bis spät in die Nacht dauerten, nicht etwa wegen der schlichten Hausmannskost, die die Köchin auftrug (gekochter Kabeljau, Kalbfleisch mit Gemüse, Reispudding …).
    Zu dem Essen, bei dem Godwin und Mary einander kennenlernten, war auch der berühmte Thomas Paine eingeladen, der nur fast ein Autor Johnsons geworden wäre. Der hatte den Verlag von Paines Rights of Man zunächst übernommen, war aber dann sozusagen um fünf nach zwölf – die ersten Exemplare waren schon ausgeliefert – auf massiven politischen Druck hin von der Veröffentlichung zurückgetreten. Daß Paine schnell einen neuen Drucker fand, war Godwin mit

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