Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
nicht mehr zu sein, mich zu verlieren, auch wenn das Dasein oft nur ein schmerzhaftes Bewußtsein von Elend ist. Nein, es scheint mir unmöglich, daß es mich nicht mehr geben soll oder daß dieser tätige, ruhelose Geist, der für Freud und Leid gleichermaßen empfänglich ist, nichts als belebter Staub sein soll – bereit, davonzufliegen in dem Moment, in dem die Feder zerspringt oder der Funke verlischt, der ihn zusammenhielt.
Gewiß wohnt etwas in diesem Herzen, das unvergänglich ist – und das Leben ist mehr als ein Traum.«
Wenn man weiß, daß sich die Verfasserin erst kürzlich von einem Ruderboot ins Jenseits bringen lassen wollte, wird man in dieser Stelle das Herz ihres Überlebens-Werkes sehen.
Die Reisebriefe waren Marys erste Veröffentlichung seit der Vindication vor vier Jahren und wieder eine, mit der sie das Publikum in Erstaunen versetzte. In einem kurzen, wie nebenbei hingeworfenen Vorwort betont sie den subjektiven, spontanen und unsystematischen Charakter ihres Berichts, bevor sie ihre Leser mit auf ein kleines Handelsschiff nimmt, das in schwerer See vor der schwedischen Küste kreuzt …
Der Beginn einer bemerkenswerten literarischen Reise, die von den beiden großen erschütternden Erfahrungen ihrer letzten Jahre geprägt ist: der Liebe zu Imlay und zur Revolution. »Welch ein stilles und friedliches Bild«, ruft die Erzählerin aus, die bald nach der Landung auf einen Felsen gestiegen ist und die Ansicht gerade deshalb genießt, weil sie alles andere als spektakulär ist. »Sie war dürftig, doch schienen einzelne Flecken von herrlichstem Grün, mit lieblich duftenden wilden Blumen übersät, den Ziegen und einigen vereinzelten Kühen die köstlichsteWeide zu versprechen. Mit Entzücken sah ich um mich her und fühlte mehr von jenem spontan aus dem Herzen quellenden Vergnügen, welches unsere Erwartungen von Glückseligkeit glaubwürdig macht, so wie ich es lange, lange nicht gefühlt hatte. Ich vergaß die Greuel, deren Zeugin ich in Frankreich gewesen und die mir die Natur in ein trübes Dunkel gehüllt hatten, und indem ich mich dem – ach! nur zu oft durch die Tränen enttäuschter Liebe gedämpften – Enthusiasmus meines Charakters aufs neue überließ, flog die Sorge davon, während schlichtes Mitgefühl mein Herz erfüllte.«
Diese doppelte Bindung an die Menschheitsgeschichte und einen geliebten Menschen gibt dem Buch Tiefe, Wärme und leidgeprüfte Reife und läßt es zu einem romantischen Manifest werden. Stammte es wirklich von der Frau, die ihre Leser mit scharfzüngigen Attacken gegen die Ordnung der Gesellschaft und die Tyrannei der Männer schockiert hatte? Zwar bekennt sie sich immer noch klar und kompromißlos zu den Prinzipien der Revolution, aber sie hat eingesehen, daß der Weg zu ihrer Realisierung über Reformen erfolgen muß. Immer noch hält sie die Männer für Despoten, aber wie anders klingt das nun! Sie, die die Liebe für überschätzt gehalten und Unabhängigkeit gepredigt hatte, verkündete sie nun als Religion.
»So manches Mal waren Sie, lieber Freund, erstaunt über die außerordentliche Liebesfähigkeit meines Wesens. Doch das ist das Fieber meiner Seele. Es ist nicht die Lebhaftigkeit der Jugend, der Blüte des Daseins. Jahrelang war ich bemüht, diese ungestüme Flut zu bändigen, versuchte meine Gefühle in einen geordneten Lauf zu bringen.
Es war ein Schwimmen gegen den Strom.
Ich muß lieben und verehren können mit aller Leidenschaft, oder ich versinke in Traurigkeit.«
»Der liebe Freund«, das ist natürlich Imlay, aber es ist ein fiktiver Imlay, der Mann, den sie wünschte und glaubte. Der Vergleich mit Forster drängt sich auf. Er schrieb seine Briefe an Therese in etwa so, wie er sie dann drucken ließ; alles Persönlichefreilich, seine Liebeserklärungen, Vorwürfe und Klagen, strich er heraus. Dagegen unterscheiden sich Marys literarische Reisebriefe fundamental von den obsessiv auf Klage und Anklage fixierten Briefen, die sie Imlay tatsächlich geschrieben hat. Sie sind reich an Welt, an Beschreibungen, Beobachtungen, Reflexionen, Stimmungen und Gefühlen – an Stellen zum Anstreichen.
Die Bemerkungen über die Lage der weiblichen Dienstboten in Schweden. »Die niedrigsten, ja selbst die mühsamsten Dienste werden diesen armen Arbeitstieren überlassen. Viele Beispiele dafür habe ich selber gesehen. Im Winter, so sagte man mir, tragen sie das Leinenzeug an den Fluß hinab, um es in dem klaren Wasser zu waschen, und
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