Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
obgleich ihnen die vom Eise zerschnittenen Hände bluten, so würden doch die Männer, ihre Mitknechte, niemals ihre Manneswürde erniedrigen, indem sie ihnen auch nur einen Kübel zur Erleichterung ihrer Last abnähmen.«
Ihre Gedanken zum Thema Reisen. »Reisende, die verlangen, daß jede Nation ihrer eigenen gleichen soll, täten besser daran, zu Hause zu bleiben. So ist es zum Beispiel absurd, ein Volk zu tadeln, weil es nicht den Grad von persönlicher Reinlichkeit und Eleganz der Sitten hat, die nur in dem Maße, wie die Gesellschaft allgemeinen Schliff bekommt, eine Verfeinerung des Geschmacks hervorbringt und allenthalben hervorbringen wird.«
Ihre Skepsis, was nationale Stereotypen angeht. »Alle sind sie darauf versessen, Nationalcharaktere zu schildern; selten aber sind diese Charaktere getroffen, weil sie die natürlichen Verschiedenheiten von erworbenen nicht zu unterscheiden wissen.«
Die Begegnung mit fremden Kreaturen.
»Zuweilen, wenn die See stille war, vertrieb ich mir die Zeit damit, die unzähligen jungen Seesterne, die dicht an der Oberfläche schwimmen, zu necken. Ich hatte sie noch nie vorher beobachtet; denn sie haben keine harte Schale wie die, die ich an der Seeküste gesehen habe. Sie sehen aus wie verdicktes Wasser, mit einem weißen Rande; und vier purpurfarbene Kreise von verschiedenen Formen waren in der Mitte über einer unglaublichen Menge von Fibern oder weißen Linien. Wenn ich sie berührte, so drehte oder schloß sich die wolkige Substanz; erst auf der einen, dann auf der anderen Seite, sehr anmutig. Nahm ich aber einen von ihnen in der Schaufel, mit welcher ich das Wasser aus dem Boot schöpfte, heraus, so hatte er nur das Aussehen von farblosem Gallert.«
Die Gedanken zur tragischen Liebesgeschichte von Mathilda, der Frau des verrückten dänischen Königs Christian, und dessen Leibarzt Struensee, der sie in Kopenhagen begegnete. In nuce steckt darin der Roman vom Besuch des Leibarztes , den Per Olof Enquist in unseren Tagen geschrieben hat.
»Arme Mathilda! Seit meiner Ankunft hier hast du mich verfolgt. Ich bin jetzt völlig überzeugt, daß sie das Opfer der von ihr gestürzten Partei wurde, die gewiß ihre Herzensverbindung übersehen oder begünstigt hätte, wäre ihr Liebhaber nicht, aus dem Bestreben, Gutes zu stiften, gegen einige herrschende Mißstände vorgegangen, ehe das Volk zu deren Veränderung reif war und Mut genug hatte, ihn im Kampf für seine Sache zu unterstützen. Wirklich hatte man die Gemüter so sehr gegen sie zu erbittern gewußt, daß ich noch jetzt, nach so vielen Jahren, den Vorwurf der Sittenlosigkeit gegen sie hörte, nicht nur wegen ihrer Bemühungen, mehr Feinheit und Geschmack in die öffentlichen Belustigungen zu bringen, sondern selbst wegen ihrer mildtätigen Handlungen, da sie, unter anderen Stiftungen, auch ein Findlingshaus errichtete. Durch ihren Widerwillen gegen manche Gebräuche, die für Tugend gelten, wiewohl sie nichts mehr als die Einhaltung leerer Formen sind, oft auf Kosten der Wahrheit, verfiel sie in einen bei den Reformatoren sehr häufigen Irrtum, daß sie unverzüglich das durchzusetzen suchte, was nur durch die Zeit bewerkstelligt werden kann.«
Und dann all die zärtlichen, sanften, schwermütigen Sätze, die sie an den Geliebten richtete. »Unschuldig und leichtgläubig wie ein Kind, warum ist mir dann nicht dieselbe glückliche Unbeschwertheit vergönnt?«
Mit nachtwandlerischer Sicherheit gelingt Mary der Balanceakt einer öffentlichen Privatheit. Indiskret wird sie nie. Zugleichenthüllend und verhüllend, verstrickt sie den Leser in ein Beziehungsdrama, ohne ihm etwas über seine näheren Umstände zu verraten. Wer ist der Mann, an den die Briefe gerichtet sind? Ein Liebhaber? Ein Ehemann? Sicher der Vater des mitreisenden kleinen Mädchens. Weshalb ist die Erzählerin überhaupt unterwegs, ohne männlichen Schutz? Sie läßt durchblicken, daß sie für ihren Liebsten unterwegs ist, immer wieder mit der Welt des Handels in Berührung kommt und dabei höchst unerfreuliche Erfahrungen macht. Über die Jagd nach dem Silberschatz kein Wort.
Erzählend verwandelt Mary ihre Geschäftsreise in einen romantischen Feldzug, immer wieder spielt sie die Poesie des fühlenden Herzens gegen die seelenverkümmernde Prosa des Gelderwerbstriebs aus. Die menschheitsbeglückenden Ideale der Revolution sind zur fieberhaften Jagd nach dem Glück verkommen, aus den Trümmern des Ancien régime ist ein neuer Despotismus der
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