Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
vernachlässigen. In Kopenhagen setzt sie sich noch einmal energisch für ihn ein. Erst 2003 ist ein Brief an den dänischen Premierminister Graf Bernstorff bekannt geworden, der Imlays und ihre Version des Falles schildert.
»Erlauben Sie mir zunächst, mich Ihnen mit meinem eigenen Namen Mary Wollstonecraft vorzustellen, und ich denke, es ist mir in einem fremden Land, ohne das Gebot der Bescheidenheit zu verletzen, erlaubt, zu versichern, daß mein Ruf als moralpädagogische Schriftstellerin so fest gegründet ist, daß niemand argwöhnen könnte, daß ich mich dazu herablassen würde, die Wahrheit durch irreführende Angaben zu verletzen.
Mr. Imlay, mein Gatte, konnte dringender Geschäfte wegen England jetzt nicht verlassen, um dem Gesetz gemäß Peter Ellefsen anzuklagen, der ihn und seinen Partner eines beträchtlichen Vermögens betrügerisch beraubt hat. Deshalb habe ich mich entschieden, ihn in dieser Sache zu vertreten, mit deren Umständen ich völlig vertraut bin.
Nehmen Sie sich bitte einen Moment Zeit, um den folgenden Bericht sorgfältig durchzulesen.«
Und dann erzählt sie die Saga vom Silberschiff von Anfang an. Sie versichert, daß Kapitän Ellefsen den Empfang der kostbaren Ladung eigenhändig quittiert habe. »Ich habe ihm seine letzten Befehle gegeben, da Imlay am Tag zuvor nach Paris aufgebrochen war.« Er habe das Silber gestohlen, als das Schiff die norwegische Küste erreichte. Die Quittung habe er an sich gebracht und vernichtet. Obwohl es dafür Zeugen gebe, sei er dafür nicht zur Rechenschaft gezogen worden.
»Als ich in Risør ankam, suchte Ellefsen mich auf und war in seinem Benehmen äußerst verbindlich. Er wünschte, daß die Sache nie passiert wäre, obwohl er mir versicherte, daß ich niemals fähig sein würde, ausreichend Beweise für seine Verurteilung beizubringen. Er verbreitete sich über die Kosten, die das für uns bedeuten würde, appellierte an meine Menschlichkeit und beteuerte, daß er das Geld jetzt nicht zurückzahlen könne. Da ich willens war, die Angelegenheit gütlich zu regeln, sagte ich ihm, er solle seine vermögenden Verwandten fragen, welche Summe sie vorstrecken könnten, und am Abend mit der Antwort wieder zu mir zu kommen; ich würde mich dann um einen Kompromiß bemühen. – Er kam und war fast unverschämt. Er war von seinen Anwälten, der Pest dieses Landes, dazu aufgehetzt worden. Ihr Plan ist es offensichtlich, uns durch Verschleppung des Verfahrens zu zermürben.«
Abschließend bat sie Bernstorff, dessen Liebe zur Gerechtigkeit bekannt sei, sich für ihre/für Imlays Belange einzusetzen.
Völlig aufgeklärt ist der Fall bis heute nicht. War Ellefsen wirklich der Dieb? War der Diebstahl vielleicht zwischen ihm und Imlay verabredet gewesen? War Imlay ein betrogener Betrüger? Welche Rolle spielten Imlays Partner? Merkwürdigerweise soll Imlay etwas später auf einen Schlag in den Besitz einer Geldsumme gekommen sein, die etwa einem Drittel des Silberwertes entspricht. War Imlays Geschäftsfreund Joel Barlow involviert? Nahm er das Silber an sich, als die »Maria Margareta«auf dem Weg nach Norwegen in Hamburg vor Anker lag? Diese Theorie hat Marys Biographin Lyndall Gordon aufgestellt. Wenn von seiten Imlays und seines Partners Betrug im Spiel war, wußte Mary davon? »Wie ich diese krummen Geschäfte hasse«, hatte sie Imlay geschrieben. Verrät es ein schlechtes Gewissen, daß sie im Brief an Bernstorff demonstrativ auf ihre bekannte Wahrheitsliebe verweist?
Frei
An einem trüben Oktobertag nimmt Mary ein Boot und läßt sich die Themse aufwärts rudern. Sie hat eigentlich vor, bei der Battersea Bridge in Chelsea auszusteigen, doch dort ist es ihr zu belebt, und so fährt sie noch ein Stück weiter. Es ist Nacht, als sie bei der Putney Bridge ankommt. Mittlerweile regnet es heftig. Etwa eine halbe Stunde läuft sie im Regen hin und her, bis ihre Kleider völlig durchweicht sind. Dann springt sie vom Brückenkopf aus ins Wasser, sinkt aber nicht unter, obwohl sie sich bemüht, »die Kleider fest an sich zu pressen«, und verliert das Bewußtsein.
Mary hatte in Hamburg lange auf Imlay gewartet. Er kam nicht, dafür ein Brief, der ihre Forderung nach einer Entscheidung – wollte er nun mit ihr zusammenleben oder nicht? – beleidigend und überflüssig nannte, »da sie doch selbst darüber zu entscheiden habe«. Nicht einmal in Dover holte er sie ab, was sie sich sehr gewünscht hatte und nach allem, was sie für ihn getan hatte, auch
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