Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
Kapitalisten und Spekulanten erwachsen. »Die Tyrannei des Reichtums ist noch drückender und erniedrigender als die des Ranges«, schreibt sie, und: »Menschenfreundlich ist das Schwert, wenn man seine Verwüstungen mit denen vergleicht, die die Kaufleute und die Heuschreckenschwärme unter den Menschen anrichten, die sich von der Pest nähren, welche sie umher verbreiten. Diese Leute, gleich den Eigentümern der Sklavenschiffe, riechen an ihrem Gelde nie das Blut, wodurch es erworben worden, sondern schlafen ganz ruhig in ihren Betten, indem sie solche Beschäftigungen einen rechtmäßigen Beruf nennen!«
Der Mann, den sie liebt, gehörte zu diesen Leuten. »Ehrlicher zu sein, als die Gesetze es erfordern, wird von den meisten Menschen für ein überverdienstliches Werk gehalten, und wie sich am besten durch das Gitter des Gesetzes schlüpfen lasse, ist schon immer interessant gewesen für schlaue Wagehälse, die auf dem schnellsten Wege reich werden wollten. Spitzbüberei ohne persönliche Gefahr ist eine Kunst, die der Staatsmann und der Falschspieler zu großer Vollkommenheit gebracht haben, und kleinere Spitzbuben sind eifrig dabei, in ihre Fußstapfen zu treten.«
Ihre Kritik fand natürlicherweise vor allem Nahrung in den Handelsstädten, die sie unterwegs besuchte – je größer, desto schlimmer. Hamburg, die letzte Station ihrer Reise, wo Mary tagelang vergeblich auf Imlay wartete und, wie Lyndall Gordon vermutet, vielleicht entdeckte, daß sein Geschäftsfreund Joel Barlow ihn im großen Stil betrogen hatte, Hamburg also inspirierte sie zu einer Philippika gegen die Spekulanten, die heute so aktuell ist wie damals, im Jahre 1795.
»Hier hat so mancher unermeßliche Reichtümer durch die Prozente, die die Kommissionen abwerfen, erworben. Auf dem Papier sind es nur zweieinhalb, aber durch die geheimen Manöver des Handels werden sie bis zu acht oder zehn wenigstens hinaufgetrieben. Große Kapitalisten sind daher während des Krieges wie Pilze aufgeschossen. Wirklich scheinen diese Leute etwas von Pilzen zu haben; und die insolente Pöbelhaftigkeit, die ein plötzlicher Zufluß von Reichtum gewöhnlich bei gemeinen Seelen hervorbringt, zeigt sich hier sehr auffallend.«
Und dann wäscht sie Imlay vor der Öffentlichkeit den Kopf.
»Doch sicher meinen Sie, ich wäre verbittert oder würde vielleicht persönlich. Oh, ich flüstere es Ihnen zu: Sie selber haben sich auf merkwürdige Art verändert, seit Sie sich intensiver mit dem Handel beschäftigen, mehr als Sie sich dessen bewußt sind. Nie lassen Sie sich Zeit zum Nachdenken, halten Ihren Geist oder vielmehr Ihre Leidenschaften in beständiger Unruhe. Die Natur hat Ihnen Talente mitgegeben, die jedoch im Schlummer liegen oder die in unwürdigem Tun vergeudet werden. Sie werden sich aufrichten und den schmutzigen Staub abschütteln, der Sie einhüllt – es sei denn, mein Verstand sowohl als auch mein Herz trügen mich ganz ungeheuerlich – nur sagen Sie mir, wann?«
Ihre Gegenwelt war die freie Natur, die wilde, klare, herzerhebende nordische Landschaft, die sie für sich und ihr Lesepublikum entdeckte. »Nichts in der Tat gleicht der Schönheit eines Sommerabends oder einer Sommernacht im Norden!« Warum ist noch kein Regisseur auf die Idee gekommen, Marys Reisegeschichte zu verfilmen?
Zu einem weltflüchtigen »Zurück zur Natur« aber hat sie sich nicht verleiten lassen. »Mich entzücken die romantischen Ansichten, die ich hier täglich genieße, belebt von reiner Luft. Jedoch langweilt nichts unsere Gefühle so schnell wie unbemerkte Einfalt. Ich bin daher fast der Überzeugung, daß ich nicht zufrieden leben könnte, fern von Ländern, in denen die Menschen in ihrer Erkenntnis so viel weitergekommen sind, und sei es auch auf eine noch unvollkommene Weise und nicht zufriedenstellend für einen regen Geist. Gerade überkommt mich das Verlangen zu erfahren, was in England und Frankreich vor sich geht. Meine Gedanken fliehen fort aus dieser Wildnis in die eleganteren Sphären der Welt, bis ich wieder an all ihre Übel und Torheiten denken muß und mich dann in die Wälder zurückziehe. Doch immer tut es mir not, wieder aufzutauchen, damit ich die Weisheit und Tugend, die mich erhebt, nicht aus den Augen verliere.« Das war ihr Abschied vom amerikanischen Traum.
Chez moi, chez elle
Die skandinavischen Reisebriefe sind nicht Marys wichtigstes Buch, aber ihr schönstes. Es gewann ihr die Herzen vieler Leser – und einen Ehemann. »Sie hat
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