Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
Beziehung zu ihm seine Vollendung fand. »Mary und ich hatten die Eigenschaften unserer Geschlechter wohl in einem mehr als gewöhnlichen Grade«, schrieb er im letzten Kapitel, in dem er den Unterschied zwischen ihrer und seiner »geistigen Beschaffenheit« herausarbeitete. »Ich hatte mich vorwiegend in logischen und metaphysischen Unterscheidungen versucht, während ihr der Sinn für das Malerische verliehen war. Eine der richtunggebenden Leidenschaften meines Lebens war das eifrige Streben, mich vor Täuschung zu bewahren. Dieses ließ mich den Gegenstand meiner Betrachtung von allen Seiten sehen und die Frage, die mich interessierte, ohne Ende prüfen und wieder prüfen.«
Was ihm fehlte, nämlich intuive Empfänglichkeit für künstlerische und geistige Phänomene, das besaß Mary in höherem Maße als sonst irgend jemand, den er kannte. »Die Stärke ihrer Begabung lag in der Intuition. Durch diese fand sie oft das Richtige selbst auf solchen Gebieten, die sonst nur der Spekulation zugänglich zu sein scheinen. Obwohl sie im engsten Sinn des Wortes wenig überlegte, fällte sie doch in überraschender Weise die richtigen Entscheidungen.
In einem derartig festen und bestimmten Urteil liegt eine gewisse Zauberkraft. Wenn es gerecht entscheidet, so erweckt es ein Mitschwingen in jedem unbefangenen Geist. In diesem Sinne wurde auch mein Schwanken und mein Skeptizismus durch ihre Kühnheit überwunden. Indem aus einem anderen Geiste eine aufrichtige Überzeugung in den meinen überströmte, entstand in diesem eine Meinung von gleicher Festigkeit.
Aber dieser Leitstern war mir nur für sehr kurze Zeit verliehen und ist nun für immer erloschen.«
In seinem historischen Roman St. Leon von 1799 hat er Mary ein verklärendes Denkmal gesetzt.
* * *
Daß jemand seiner Zeit voraus gewesen sei, wird allzu oft behauptet. Für Godwins freimütige und bei aller Liebe und Bewunderung auch kritische Biographie Marys, die Schwächen und Stärken unlösbar aneinanderbindet und weder ihre Affären noch ihre Suizidversuche verschweigt, aber stimmt es. Sie war beispiellos, unerhört und erfüllte das Publikum mit »entsetzterFaszination«. »Haben Sie Mr. Godwins Leben seiner verblichenen Lady gelesen?« fragte Mrs. Piozzi Mrs. Pennington. »Das ist eine Moral, die der neuen Leuchten der philosophischen Religion würdig ist: Sie müssen es bitte lesen.« Der Verleger, Marys alter Freund Joseph Johnson, hatte erfolglos versucht, ihn zu Änderungen und Streichungen von Passagen zu überreden, in denen noch lebende Personen erwähnt werden – Füssli zum Beispiel, den Godwin fast jede Woche bei ihm traf.
Die Heftigkeit, mit der Rezensenten und Leser auf ihn und Mary einprügelten, hat er nicht vorausgesehen. »Fast ohne Ausnahme waren sie feindlich, verachtend und strotzten vor Entrüstung. ›Schamlos‹ war noch die mildeste Beschreibung; ›schlüpfrig‹ und ›widerwärtig‹ kamen häufiger vor. Öfter wurde bemerkt, daß Godwin die Lasterhaftigkeit seiner verstorbenen Frau prahlerisch zur Schau gestellt habe. Seine sorgfältigen, liebevollen und einfühlenden Beschreibungen wurden grob in der kompromißlosen Sprache des Hohns, der Anzüglichkeiten und der moralischen Entrüstung zusammengefaßt.« Aber das Buch verkaufte sich gut. Für die zweite Auflage nahm Godwin einige Änderungen vor, ließ es aber sonst, wie es war.
Zumindest ein Exemplar der Memoirs fand einen verständnisvollen Leser – in Paris. »Es ist rührend zu lesen, wie der sonst trockene William Godwin beim Andenken an Mary ganz in Zärtlichkeit aufgelöst ist«, schrieb Gustav von Schlabrendorf, dem das Buch vielleicht vom Verfasser persönlich zugeschickt worden war. Die Lektüre regte ihn zu einer eigenen biographischen Skizze Marys an, die von Bewunderung und Liebe durchdrungen ist.
Im September 1817 besuchte Henry Crabb Robinson den fast siebzigjährigen »Count Schlabberndorf« in seinem sehr schmutzigen Zimmer im dritten Stock des Hôtel des deux Siciles . »Ich gewahrte einen sehr ehrwürdigen Mann, der in eine Art Schlafrock aus verschossenem dunkelfarbigem Satin gekleidet war, mit Stoffschuhen und ohne Strümpfe, und ich habe den Verdacht, daß er ganz buchstäblich ein Sansculotte war. Obwohl sein Anzug schmutzig war, und seine grauen Haare, sein grauer Bart ungepflegt wirkten, waren sein Gesicht und seine Hände sauber und seine Erscheinung und Stimme waren die eines Gentleman. Er hat durchdringende aber milde Augen, und seine Nase ist
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