Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
ist in mancher Hinsicht ihr Gegensatz. Sie ist ungewöhnlich kühn und sehr lebhaften Gemüts. Ihr Wissensdrang ist groß und ihre Begeisterung bei allem, was sie unternimmt, fast überschwenglich. Sie ist, glaube ich, sehr schön. Fanny ist keineswegs schön, doch in jeder Hinsicht sehr gewinnend.«
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Marys Konflikte mit der Stiefmutter gingen mit der Idealisierung der eigenen, nie gekannten Mutter Hand in Hand. Deren Grab auf dem St.-Pancras-Friedhof, an dem Godwin Trauerweiden gepflanzt hatte, wurde für sie zum Pilgerort, wo sie viele Stunden lesend und träumend verbrachte. 1814 besuchte sie es immer öfter zusammen mit dem Dichter Percy Bysshe Shelley. Der Sohn eines reichen Baronets, der wegen einer Schrift über die Notwendigkeit des Atheismus vom College geflogen war, hatte als Bewunderer von Godwins Political Justice die Bekanntschaft des Philosophen gesucht, der seinen Geist und sein Geld schätzte, das Shelley als Kredit aufnahm. Nachdem er als Neunzehnjähriger mit der sechzehnjährigen Harriet Westbrook, der Tochter eines Gastwirts, davongelaufen war, sie geschwängert und in Schottland geheiratet hatte, wollte sein wohlhabender Vater nämlich nichts mehr von ihm wissen.
35 Mary Godwin und Percy Bysshe Shelley
an Mary Wollstonecrafts Grab.
Eine viktorianische Illustration.
Mittlerweile hatte Shelley entdeckt, daß Harriet ihm geistig zu wenig bot. Sie erwartete ihr zweites Kind, als er (jetzt zweiundzwanzig) und die sechzehnjährige Mary sich am Grab von Mary Wollstonecraft ihre Liebe erklärten. Seine Leidenschaft galt »der Aura ihrer Mutter« (so Lyndall Gordon). Gut einen Monat später brannte er mit Mary durch. Jane Clairmont, die sich etwas später Claire nannte, war in den Plan eingeweiht und schloß sich ihnen an. Fanny, die von nichts wußte, fühlte sich wieder einmal ausgeschlossen, verlassen, ungeliebt. Während ihrer sechswöchigen Reise auf den Kontinent, die zuerst in die Schweiz, dann nach Frankreich führte, lasen sie Bücher von Mary Wollstonecraft und Godwins Memoirs . In Paris wollten sie Helen Maria Williams besuchen, trafen sie aber nicht an. Als sie nach London zurückkamen, war Mary schwanger.
Zweifellos redeten sich die Liebenden ein, mit ihrer Flucht nach den Lehren von Marys Eltern zu handeln (freie Liebe, Ablehnung gesellschaftlicher Konventionen, dem Ruf des Herzens folgen etc.), aber das war natürlich ein Mißverständnis. MaryWollstonecraft wäre so schockiert und tief enttäuscht gewesen, wie Godwin es wirklich war. »Ich habe es nicht glauben können, daß Sie Ihr Ansehen und Ihre Wirkungsmöglichkeiten, das Glück einer unschuldigen und achtenswerten Ehefrau und den makellosen Namen meines jungen Kindes einem Impuls ungezügelter Leidenschaft opfern würden.«
Shelley und Mary heirateten Ende Dezember 1816, vierzehn Tage nachdem Harriets Leiche aus einem Teich im Hyde-Park gezogen worden war.
Kurz davor hatte sich auch Fanny das Leben genommen. Mit Laudanum, bei ihr wirkte es. Auch sie stand im Bann des mütterlichen Vorbildes. »Ich habe längst entschieden, daß es für mich das beste sein wird, der Existenz eines Wesens ein Ende zu setzen, das unter einem unglücklichen Stern geboren wurde und dessen Leben eine dauernde Belastung für die Menschen bedeutet hat, die bei dem Versuch, sein Wohlergehen zu befördern, sich gesundheitlich aufgerieben haben.«
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Wahrscheinlich ist es das bekannteste Kapitel der englischen Literaturgeschichte. Anfang des gleichen Jahres 1816 war Claire (Jane) Clairmont die Geliebte des berühmten, berüchtigten Dichters Lord Byron geworden; im Sommer reiste sie, inzwischen schwanger, zusammen mit Shelley und Mary in die Schweiz an den Genfer See. Etwas später kam Byron nach, zusammen mit seinem Freund und Arzt, Dr. Polidori. Unterwegs hatte er das Schlachtfeld von Waterloo besucht. Als gemeinsames Urlaubsdomizil mieteten sie die außerhalb von Genf gelegene Villa Diodati.
»Es war ein nasser, unfreundlicher Sommer, und Dauerregen fesselte uns oft tagelang ans Haus«, erzählt Mary. Sie vertrieben sich die Zeit mit der Lektüre von Geistergeschichten, und eines Tages schlug Byron eine Art literarischen Wettkampf vor: Jeder von ihnen sollte sich in diesem Genre versuchen. »Ich war unablässig damit beschäftigt, mir eine Geschichte auszudenken –eine Geschichte, die es mit denen aufnehmen konnte, die uns zu dieser Aufgabe angeregt hatten. Eine, die zu unseren geheimen Ängsten sprechen würde und fieberhafte Spannung
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