Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
ich Ihnen nur halb so oft geschrieben hätte, als ich während dieser Szenen von Tumult und Tod an Sie gedacht habe, was für eine Menge von Briefen hätten Sie erhalten! Aber liebste Freundin, viele Gründe haben mich daran gehindert, die Feder zu ergreifen, nicht nur, daß ich zu aufgewühlt war, um schreiben zu können, es war auch zu befürchten, daß meine Briefe abgefangen würden. Dieses Gekritzel wird Sie vielleicht nie erreichen, aber ich kann es nicht länger aufschieben, Ihnen wenigstens ein paar Zeilen zu schreiben, um Ihnen mitzuteilen, daß ich in Sicherheit bin; ich werde bei einer anderen Gelegenheit von den Szenen sprechen, die jüngst in Paris aufgeführt worden sind, sie waren so, daß selbst meine Überzeugung, daß dieses zeitweilige Übel ein anhaltendes Gutes hervorbringen wird, mich kaum mit diesem Blutvergießen, diesem grauenhaften Verlust von Menschenleben versöhnen kann, dessen Zeuge ich war. Das Schwert ist nun gezogen und wird nicht mehr in die Scheide gesteckt werden, bis die eine oder die andere Partei ausgerottet ist, das Massaker von gestern hat mich so entsetzt, daß ich kaum Kraft habe, die Feder zu halten. Das Volk von Paris ist schändlich betrogen und grausam seinen Feinden geopfert worden, aber die Proskription von gestern wird für immer ein dunkler Fleck auf den Annalen der Revolution sein. Sie werden Berichte hören, die behaupten, daß es der Mob gewesen sei, aber es ist eine wohlbekannte Tatsache, daß der Plan und die Liste der Verurteilten von denen stammen, die das Volk als Werkzeug benutzt haben. Adieu, meine liebste gnädige Frau – Sie werden erraten, von wem dieses Gekritzel stammt, obwohl ich nicht mit meinem Namen unterschreibe, und ich weiß, Sie werden mir glauben, daß ich für immer mit aufrichtiger Verehrung und Zärtlichkeit die Ihre bin –«
In ihren Souvenirs hat Helen die Pariser nicht mehr so einfach davonkommen lassen. »Diese Massaker waren der erste Akt der Terrorherrschaft; sie sind die Schande von Paris, weil seine große Bevölkerung sie betäubt und erstarrt zugelassen hat. Sie waren ein finsterer Schlag gegen die Sache der Revolution. Beim Sturz der Monarchie war Blut geflossen, aber wenigstens hatte es zuvor eine Schlacht gegeben. Hier gab es keine Entschuldigung; das im September vergossene Blut war vorsätzlicher Mord, und die Opfer konnten sich nicht wehren. Es waren die Freunde der Revolution, die am meisten über die entsetzlichen Taten weinten. Was ihre Feinde betrifft, so trösteten sie sich mit der Hoffnung, daß so viele große Verbrechen der Sache der Freiheit Schaden zufügen würden. Die reine Wahrheit ist, daß die meisten dieser Mörder keineswegs gedungen waren, die Mehrzahl wurde von einem wilden, unerklärlichen Fanatismus getrieben.
Madame de Staël spricht von der Dunkelheit, die während dieser unheilvollen Nächte in Paris herrschte, aber das Gegenteil war der Fall, auf besonderen Befehl der Stadtverwaltung waren die Straßen illuminiert; und diese düsteren Lampions haben mir einen unauslöschlichen Eindruck gemacht und sindder Grund dafür, daß ich seitdem Illuminationen verabscheue, die mich unweigerlich an die Septembermorde erinnern.«
Reisen mit Herrn S.
Paris, den 16. Septr. Der gewesene Herzog von Orleans hat die Gemeine [Kommune] von Paris um einen neuen Namen gebeten, und nennt sich itzt: Philipp Ludwig Joseph Egalité (Gleichheit).
Vossische Zeitung, Berlin 1792, Nr. 116
Helen hielt es in Paris nicht mehr aus. Mit einer Freundin verabredete sie für Mitte September eine Erholungsreise in Begleitung von zwei männlichen Beschützern. Der eine war ihr Freund John Hurford Stone, der andere Konrad Engelbert Oelsner, der die Öffentlichkeit in deutschen Landen mit Nachrichten aus Frankreich versorgte und deshalb die Beziehungen zu seiner ungewöhnlich gut vernetzten englischen Kollegin pflegte. Bis zu den jüngsten Gewaltexzessen hatte der aus Schlesien gebürtige Revolutionsfreund mit den Jakobinern sympathisiert. Zeitgenossen schildern ihn als klein, schlank, lebhaft und reizbar, mit feinem, geistvollen Gesicht, »in dessen beweglichen Zügen sich die wandelnde Stimmung des Gemüts unverhohlen zu lesen gab«, ironischem Lächeln, blauen Augen und einer Denkerstirn, »vom lustigen Gekräusel seines Haars umweht«. In Oelsners Bericht von diesem Ausflug steckt eine Novelle. Er selbst hat sich darin die Rolle des Helden zugeteilt und kein Hehl daraus gemacht, daß Stone ihm ein Dorn im Auge war.
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