Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
sich absehen, daß sich die nämliche Szene in allen Enden des Reichs wiederholen würde.«
Auch aus der Gegend von Tours werden Unruhen gemeldet.An einen Erholungsaufenthalt ist also nicht zu denken. Außerdem ist das Wetter miserabel, die Reise »im eigentlichen Sinne zu Wasser geworden«. Die Kutsche schleppt sich über aufgeweichte Straßen zurück nach Paris. Und dann beschert ihnen das Schicksal doch noch einige angenehme Tage. »Mitten in einer Ebene, die um und um den Horizont begrenzt, und auf der, wer nicht in guter Gesellschaft reist, die Langeweile einer weiten Seefahrt fühlen wird«, stoßen sie auf das Dorf Méréville. Während in Paris ein neuer gesetzgebender Nationalkonvent zusammenkommt, der als erstes die Abschaffung der Monarchie beschließt, fallen sie zurück in eine andere Zeit.
Wenige Jahre vor der Revolution hatte der Bankier Jacques de la Borde in der Nähe des Ortes ein Schloß gekauft und einen englischen Park anlegen lassen, den reichsten, größten, geschmackvollsten im ganzen Land. »Ein Göttersitz!«
»Ohne Herrn de la Borde im mindesten bekannt oder empfohlen zu sein, schrieben wir aus dem Wirtshause um die Erlaubnis seinen Garten zu sehn; sogleich läßt sich der Herr de la Borde bei uns anmelden, ladet uns aufs Schloß, schickt seine Karosse mit vier Pferden, uns abzuholen; er selbst begleitete unsre Neugierde, wohin es ihr zu schweifen beliebte; wir wurden genötiget, einige Tage in seinem Hause zu bleiben, und, überhäuft mit all den feinen Aufmerksamkeiten, die den Umgang erleichtern, fanden wir bei der Abreise unsern Wagen mit einem Dutzend Flaschen des besten Champagner und Malvesier ausgefüllt [. . .] Ehemals gab es eine Menge Landsitze in dem Geschmacke des Labordischen, des einzigen vielleicht, das sich auf diesem Fuß mitten durch die Revolution erhalten hat.« So Oelsner, der an diese Episode einen Vergleich der englischen und französischen Umgangsformen anschloß. Er fiel (für beide Geschlechter) sehr zugunsten Frankreichs aus.
»Ich bin gerade aus Orléans nach Paris zurück gekommen, ich habe der Angst und Ungewißheit [Helens] das Opfer einer kurzen Abwesenheit bringen müssen. Wir sind kürzlich im Schloßvon Monsieur Laborde, dem Bankier, gewesen. Da es nun nichts mehr zu befürchten gibt, werde ich sofort mit dem Kauf der Manufaktur fortfahren«, schrieb John Hurford Stone am 27. September an seinen Bruder nach London.
Ein paar Tage später war er schon wieder mit Oelsner unterwegs, diesmal als Kriegsreporter, zu Pferde und ohne Helen, möglicherweise aber in ihrem Auftrag. Sie hatte ein ausgeprägtes Interesse für die militärische Seite der Revolution – da schlug wohl ihre Herkunft aus einer Soldatenfamilie durch.
Nach den anfänglichen Siegen der Allierten hatten die Ereignisse eine sensationelle Wende genommen. Bei Valmy wurden sie von den Revolutionstruppen geschlagen. Am Tag danach, am 21. September, wurde in Paris die Erste Französische Republik ausgerufen. Am 2. Oktober traf in Paris die Nachricht ein, daß die Feinde auf der Flucht seien. Stone war der erste, der sie nach England übermittelte, wie er prahlte. »Die Neuigkeiten kamen in der Nationalversammlung um halb eins an, ich hörte sie von einem Abgeordneten, sprach mit einem der Sekretäre, und um ein Uhr ging die Post nach Calais ab, und mein Brief wurde an Bord eines Schiffes gebracht, das nach England abging.«
Danach brachen er und Oelsner unverzüglich zu den nachrückenden französischen Truppen auf.
Als sie bei strömendem Regen in Sainte Menehould, ihrer ersten Station, eintreffen, sind alle Wirtshäuser von Militär besetzt, nirgendwo gibt es etwas zu essen. Endlich finden sie in einer zweifelhaften Unterkunft etwas, was einem Bett gleicht. Auch hier ist es so voll, daß sie am Gasttisch keinen Platz mehr finden. Immerhin gibt es ein Feuer, vor dem sie ihre Kleider trocknen können, und man findet sogar eine Flasche Wein für sie, der trinkbar ist. »Annehmlichkeiten sind relativ«, bemerkt Stone. »Während wir an den Glanz und die Gastlichkeit von Méréville dachten, in dessen verzauberten Gärten wir die letzte Woche verbracht hatten, beglückwünschten sich sie [die anderen Gäste] dazu, Schutz vor einem erbarmungslosen Sturm gefunden zu haben.«
Der Weiterritt war, was interessante Informationen angeht, fürdas ungleiche Paar enttäuschend, außerdem beschwerlich und gefährlich. Sie gerieten in einige brenzlige Situationen und irritierten einander. Oelsner
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