Auf fremdem Land - Roman
hob den Kopf nicht, als sich Roni seufzend auf das Sofa legte.
Sie schwiegen lange nebeneinander.
Gabi dachte an Uman, die Reise, auf die er verzichtet hatte. Der Traum. Wie sehr hätte er diese Erfahrung gebraucht, die Nähe Rabbi Nachmans. Für seinen Bruder hatte er darauf verzichtet. Der Mensch war eine Frucht der Freude, ohne Freude gab es keinen Glauben, aber wo, wo war die Freude. Gabi war an dem Tag nach Jerusalem gefahren, hatte gedacht, vielleicht doch noch einen Weg zu finden. War bei dem Reiseveranstalter gewesen. Auf der Bank. Hatte eingesehen, dass es keine Chance gab. 1256 US -Dollar für ein Basisarrangement für fünf Tage, plus Visum, plus Transport vom Flughafen, plus Essen. Es würde weniger kosten, wenn es nicht an Rosch Haschana wäre, aber Rabbi Nachman hatte gesagt, all mein Interesse ist Rosch Haschana …
Was für Hindernisse, der Herr bewahre. Er konnte keinen Kredit aufnehmen und wollte es auch nicht. Er wollte nicht das ganze Jahr arbeiten, um diese Reise zurückzuzahlen. Er rechnete nach, was er Roni alles gegeben hatte. Er war sein Bruder, sein Fleisch und Blut, er durfte nicht so denken. Er versuchte Mischnatraktate zu lesen, doch es gelang ihm nicht, sich zu konzentrieren, er legte das offene Buch gegen seine Brust und schloss die Augen.
Roni erfasste die Energien, die Gabi verströmte. Als er beschloss, das Schweigen zu beenden, sagte er als Erstes: »Ich werde dir das Geld besorgen, keine Angst. Es ist unterwegs. Schade, dass du nicht gesagt hast, dass Rosch Haschana dieses Jahr so früh ist …«
Als Reaktion darauf streckte Gabi eine Hand offen aus und wartete. Roni schaute ihn an, sagte nichts. Gabi wartete. Die Handfläche füllte sich nicht mit Geld. Schließlich sagte er: »Wenn du willst, dann leg hier jetzt viertausend Schekel hinein. Aber ohne zu reden. Ohne zu sagen, gleich oder demnächst oder später. Ohne zu versprechen, dass die Bestellungen in null Komma nichts einlaufen werden oder dass du bei der Bank vorbeischaust, um einen Kredit zu organisieren, oder dich zu beschweren, dass Rosch Haschana dieses Jahr so früh ist.«
Roni blickte auf die ausgestreckte offene Hand.
»Leg hier viertausend Schekel hinein«, wiederholte Gabi, »jetzt. Du sagst die ganze Zeit zu mir, ich soll endlich das tun, was ich wirklich machen möchte, also hier. Das ist es, was ich wirklich machen möchte. Leg das Geld hin, und wenn du es nicht kannst, dann geh weg von hier. Denn wenn ich an Rosch Haschana nicht nach Uman fahre, kann ich keinen Tag länger mit dir in diesem Wohnwagen leben. Das ist mein Zuhause, du bist hier eingedrungen, und ich habe dich schweigend und mit Liebe aufgenommen, und vielleicht bin ich ja nicht gut und nicht stark genug, habe nicht genug Liebe, aber ich kann nicht mehr. Entweder ich reise nach Uman, oder du lässt mich in Ruhe.«
Roni betrachtete die tränennassen Augen seines Bruders, die ausgestreckte Hand, und stand auf. Er zog ein Hemd an, holte den Koffer, den er auf dem Schrank verstaut hatte, herunter und fing an, seine Sachen hineinzuwerfen. Ohne ein Wort sammelte er sie aus allen Ecken des Wohnwagens ein, stopfte sie in den Koffer, zog den Reißverschluss zu. Ging in die Küche, trank ein Glas Wasser. Gabi verharrte in der gleichen Position, die offene Hand ausgestreckt vor sich, als gäbe er ihm noch eine letzte Gelegenheit. Er hätte zu ihm sagen müssen, er solle aufhören, solle bleiben, doch er brachte es nicht fertig. Nach dem Glas Wasser kehrte Roni ins Wohnzimmer zurück, packte den Koffergriff und begann, ihn in Richtung Tür zu schieben. Es fiel kein weiteres Wort. Eine heftige Windbö knallte die Tür gewaltsam ins Schloss, ließ die mageren Flanken des Wohnwagens erbeben.
Es gibt Tage, an denen sich das Wasser und die Seele einander nähern, es liegt etwas in der Luft, etwas im Wind – um mit den Psalmen zu sprechen, es gibt Tage, an denen einem das Wasser bis an die Seele reicht. Denn in jenen Augenblicken, in denen das Wasser ganz langsam nahte und sich an dem Abhang sammelte, der zu Gabis Seele führte; in jenen Momenten, in denen Roni sich auf den Weg machte und seinen Koffer die Ringstraße von Ma’aleh Chermesch 3 entlangrollte, ohne irgendeine konkrete Ahnung zu haben, wohin er sich wenden sollte; in jenen Sekunden, in denen das gesammelte Wasser überlief, hinuntertropfte und Scha’ulits Seele erreichte und infolgedessen – als das ausschließliche Ergebnis allein dieser Reihenfolge – auch Nirs Seele und beide zu
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