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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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aufmachen?«, fragte der große Bruder, doch als Gabi aufstand, um es zu öffnen, sagte er: »Ist es nicht zu kalt für ein offenes Fenster?« Gabi machte es trotzdem auf.
    »Hör zu, ich hab nicht viel zu essen, ich wusste nicht, dass du kommst. Wenn ich heute Vormittag nach Ma’aleh Chermesch komme, bring ich ein bisschen was mit. Aber es ist Freitag, da ist nicht viel Zeit.« Ihm fiel etwas ein. »Hast du vielleicht ein Auto? Ich könnte jetzt kurz rüberfahren, vor der Arbeit.«
    »Ich habe gar nichts«, erwiderte Roni. Gabi hob eine Braue.
    »Sag mal, was soll das mit Gavriel Nechuschtan?«, fragte Roni und sandte eine Rauchfahne durch das Fliegengitter. Der Rauch zog langsam hinaus, als lote er seine Grenzen aus.
    »Das bin ich.«
    »Aber wieso? Gavriel verstehe ich, aber was hat Nechuschtan damit zu tun?«
    »Kupfer heißt nechoschet , hast du das nicht gewusst? Unsere Vorfahren in Deutschland hatten sicher mit Kupfer zu tun. Kupfer ist das stärkste Material auf der Welt.« Roni zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Gabi betrachtete den Körper seines Bruders, der nachlässig auf dem Sessel lagerte – nicht mehr so muskulös, wie er einmal war, aber immer noch männlich; dichtes, borstiges Haar, eine Fellmähne bedeckte die gebräunte Brust. Sein Bruder war breiter gebaut als er, kleiner und behaarter als er. Ein Fremder hätte die Ähnlichkeit nicht auf den ersten Blick entdeckt, hätte vielleicht bei der Form der braunen Augen verweilt, obwohl sich auch da der spontane, schalkhafte Ausdruck bei Roni von dem eher zögerlichen, harmlosen des jüngeren Bruders unterschied. Gabi fuhr fort: »Jemand hat mir erzählt – wenn irgendwann die Eiszeit wieder eintrifft, und das wird sicher geschehen, denn der Herr lässt schließlich die Natur periodisch wiederkehren, dann wird die ganze Welt mit einer Eisschicht von einigen Kilometern Dicke bedeckt werden. Diese Eisschicht wird ein ungeheures Gewicht haben, das die ganze Welt, die wir kennen, zu einer dünnen Schicht von ein paar Zentimetern zusammenquetschen wird. Alles wird zu Staub werden. Aber wer nach dieser Eiszeit ins Innere der Erde graben und in einem Querschnitt die Zweizentimeterschicht dessen sehen würde, was einmal die Menschheit war, wird hauptsächlich Kupfer sehen. Und das deshalb, weil wir dermaßen viel von diesem Material benutzen und es so stark ist. Der ganze Rest wird zu Staub werden, zu nichts. Aber das Kupfer wird überdauern.«
    »Und was sagt das über unsere Familie? Dass wir stark sind?« Roni lachte sein kleines Lachen. Gabi zuckte mit den Achseln. »Hast du ihn im Innenministerium geändert?«
    »Nein.« Sie tranken schweigend ein paar Minuten. Dann fragte Gabi: »Was heißt das, ›ich habe gar nichts‹? Was ist passiert?«
    »Eine lange Geschichte.«
    »Erzähl.«
    Roni öffnete das Fliegengitter und warf den Zigarettenstummel hinaus. »Nicht jetzt. Wir werden noch Zeit dazu haben. Du musst zur Arbeit gehen, oder?«
    »Ja. Aber ich möchte auch wissen, was meinem Bruder passiert ist. Und es wäre nett zu erfahren, wie lange du vorhast hierzubleiben. Bist du in irgendwas reingeraten?«
    »Nein, nein, alles bestens, es ist gar nichts passiert. Ich muss eigentlich nur ein bisschen Luft schnappen. Wer ist das? Was der für einen Blick hat.« Er deutete auf eine Fotografie im Format einer großen Postkarte, die auf einem Brett im Bücherregal lag, das Schwarzweißbild eines bärtigen Mannes, der einen Pelzhut trug. »Diese Augen machen einem Löcher ins Gesicht.«
    Gabi schaute auf das Bild. »Das ist der R-A-J Kook.«
    » R-A-J ? Was ist das denn?«
    »Rabbi Abraham Jitzchak Kook … welch eine Glut, was?« Gabi richtete den Blick wieder auf seinen Bruder. »Aber warum wechselst du das Thema – ist es jetzt ›gar nichts‹ oder ›eine lange Geschichte‹?« Nachdem er keine Antwort erhielt, ging Gabi in den anderen Raum und kehrte in blauer Arbeitskleidung zurück, unter der die Schaufäden seines Gebetsschals hervorlugten, setzte sich und band die Schnürsenkel seiner klobigen Arbeitsschuhe. Dann lächelte er und stand auf. »Gut, reden wir nachher. Ich muss wirklich los.«
    »Keine Bange«, sagte Roni. »Ich werde dir nicht lange zur Last fallen. Ich muss nur Ruhe finden. Auf die Beine kommen. Und dann weitermachen. Auf alle Fälle«, er stand auf, steckte den Kopf aus dem Fenster und blickte sich um, »bin ich ohnehin nicht imstande, an einem solchen Ort länger zu leben.«
    Gabi lächelte. » Jalla , ich muss los, einen schönen

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