Auf fremdem Land - Roman
Verantwortung der Mutterschaft. Sie bat sich ein wenig Freiheit aus, und er akzeptierte es.
Er sagte zu Miki: »Du bist fünf Monate, zwei Wochen und drei Tage alt«, und nahm ihn zu einem langen Spaziergang ans Meer mit. Er hatte ihm im Herbst und Winter langärmlige Hemden anziehen wollen, doch Miki hatte sich darauf versteift, zu jeder Jahreszeit kurzärmlige Kleidungsstücke zu tragen, und da er nie eine Grippe bekam und es ermüdend war, wie er sich zur Wehr setzte, hatte Gabi es aufgegeben. Er sagte zu ihm: »Du bist sechs Monate und sechs Tage«, und nahm ihn zu einem seltenen Besuch bei Onkel Roni mit, der immer beschäftigt und im Stress war. »Du hast deinen Achtmonatsgeburtstag, Glückwunsch«, auf dem Weg zur Kleinkindergruppe, in der nichts gemacht wurde, außer den Müttern die Zeit zu vertreiben – und außer ihm waren alle Mütter.
»Heute bist du zehn Monate, eine Woche und einen Tag alt«, sagte er an dem Tag, an dem er entdeckte, dass Anna ihn anlog. Er ging mit Miki am Tel Aviver Hafen spazieren, und ein junges, hübsches Mädchen lächelte Miki an und machte Grimassen für ihn. Das war natürlich nichts Ungewöhnliches, da Miki viel Aufmerksamkeit von Fremden erhielt und es liebte, und Gabi hielt des Öfteren mit dem Kinderwagen an, um es seinem Sohn zu ermöglichen, mit unbekannten Bewunderern Blödsinn zu machen.
Dieses Mädchen jedoch sagte nach dem unumgänglichen Duziduzigaga: »Moment mal, ist das Miki?« Sie war eine Studienfreundin Annas. Sie erkannte Miki nach dem Bild, das Anna ihr gezeigt hatte. Sie fuhr fort, ihn zu kitzeln und zu streicheln und Laute von sich zu geben, bis sie schließlich den Blick hob und fragte: »Wo ist Anna?«
»Anna?«, fragte Gabi zurück, als hörte er den Namen zum ersten Mal in seinem Leben.
»Ich meine, was macht sie an einem freien Tag?« Anna hatte nichts von Ferien erzählt. Gabi zuckte verunsichert die Achseln. »Ah, Moment mal«, redete das Mädchen weiter, »ist sie nicht mit Sami nach Afula gefahren?« Sami? Afula? Gabi wollte schon den Mund aufmachen, um zu reagieren, doch Miki begann zu brüllen, um ihre Aufmerksamkeit zurückzugewinnen, und er erhielt sie. Dann klingelte ihr Telefon, und Vater und Sohn setzten ihren Spaziergang fort, während sie ihnen, schon mitten in einem Gespräch mit irgendeinem »Herzchen«, zum Abschied zuwinkte. Gabi erfuhr ihren Namen nicht.
Als Anna spät zurückkehrte, fragte Gabi nichts, und sie sagte nichts. Wenn er gefragt hätte, hätte sie es vielleicht erklärt. Aber an jenem Abend betrachtete er sie, als sie einschlief, und hatte das Gefühl, sie nicht zu kennen. Ein neuer Wind wehte. Was erzählen wir uns selbst und der Welt, dachte er. Wir denken, dass die Liebe gut ist, dass das Leben gut ist und das alles, und trotzdem. Er konfrontierte Anna nicht. Forschte nicht nach, schnüffelte nicht herum, fragte nicht. Er schaute nicht heimlich in ihrem Mobiltelefon nach, während sie schlief. Er suchte nicht in ihren Heften nach gedankenlosen Kritzeleien, Telefonnummern, Notizen. Er wollte keine gequälten Ausreden hören, wollte nicht Vorschub zu Selbstmitleid leisten und ihr die Möglichkeit geben, ihn zu beschuldigen, ihn für ihr Verhalten verantwortlich zu machen, da er ihr Wärme und Leidenschaft vorenthielt, die sie sich woanders suchen musste. Vielleicht befürchtete er, dass er, wenn er ihr die Möglichkeit zu einer Erklärung gäbe, es sogar verstehen würde. Und er wollte nicht verstehen. Also redete er sich ein, dass Anna noch etwas Zeit für sich, noch ein bisschen Freiheit brauchte.
Er nahm Miki im Kinderwagen zu den Schaukeln und dem Karussell im Park mit und sagte zu ihm, dass er zehn Monate und zweieinhalb Wochen alt sei. Fuhr ihn zum Schwimmunterricht für Kleinkinder, im Alter von elf Monaten und neun Tagen, und nach dem Schwimmbad zog er Miki seine kurzärmligen Sachen an, obwohl es der verregnetste Tag des Jahres war. Wie gewöhnlich erkältete sich der Junge nicht, doch in dieser Zeit hatte er Schmerzen, weil seine Zähne wuchsen; wenn er weinte, pflegte ihn Gabi an seine Brust zu legen und behutsam sein blondes, weiches Haar zu streicheln, bis er einschlief wie ein Engel.
An seinem ersten Geburtstag flatterte Miki plötzlich wie ein Schmetterling mit seinen Händen: schnelle Bewegungen, sekundenlang. Anna blickte Gabi mit verwundertem Lächeln an und schüttelte staunend den Kopf. Ihre Augen leuchteten vor Stolz. Der Junge stieß einen Laut aus und begann zu gehen. Der erste Schritt
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