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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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wandernden Kühen in Acht nehmen. Und schlimmstenfalls weißt du ja, was du mit Miki anfängst, du hast schon Übung.«
    »Wag es bloß nicht«, versetzte der Onkel und klopfte auf das Autodach, um sie zum Aufbruch zu bewegen. Eine einsame Leuchtrakete der israelischen Armee nach etwa vierzig Minuten Fahrt ließ ihre Herzen schneller schlagen und bereitete ihnen Gänsehaut, doch sie gelangten heil und gesund in ihrer Mietwohnung in Tel Aviv an.
    Es kam und ging wie Ebbe und Flut, fiel ihm auf, wie Frühling und Herbst. Es gab Phasen, in denen er spürte, dass sich Anna ihm wieder zuwandte. Früher heimkam. Dann entströmte ihr ein warmes Gefühl, und auch er fühlte sich ihr nah: wenn er sie im anderen Zimmer vor dem Fernseher lachen hörte, zusah, wie sie mit Miki ein Puzzle zusammensetzte mit einer Geduld, die er selbst nicht hatte, einen verstohlenen Blick warf, wenn das Nachthemd über ihrem Kopf schwebte, auf dem Weg, über ihre weiße Haut hinunterzugleiten.
    Er fuhr fort, Miki zu erzählen, wie alt er war, und er wurde immer älter: ein Jahr und ein Monat, und drei Monate und zwei Tage, und sieben Monate und neunzehn Tage. Er wurde größer, ging, sprach, forderte, und Gabi war die ganze Zeit an seiner Seite und Anna in der Universität, näherte sich ihrem Abschluss, sondierte Möglichkeiten, Studientage, Jobbörsen, ein Jahr und neun Monate und dreißig Tage, Herbstwinde, und wieder verschwand Anna, und wieder schob sie die Schuld auf das Studium, wandte ihm erneut den Rücken zu, und er hörte wieder im Schlaf, wie die Tür behutsam geöffnet und geschlossen wurde, der Wasserstrahl in der Dusche vorsichtig auf- und zugedreht wurde, und er spähte auf die Uhr und schlief weiter und erwachte beim Rascheln der Steppdecke, wach genug, um zu merken, dass er keinen Kuss, kein Streicheln und keine Umarmung erhalten hatte, und er fragte sie nichts in der Früh, doch sie fasste den Abend in zwei Sätzen zusammen und nannte eine andere Zeit für ihre Heimkehr, als er auf seinem Wecker gesehen hatte.
    Sie schwankten, ob sie Miki in den Kindergarten schicken sollten. Die langen Stunden mit ihm waren allmählich nicht mehr so einfach für Gabi. Das süße, immerfort lächelnde Baby war anspruchsvoller geworden, frustrierter, manchmal wütend. Auch Gabi war bisweilen gereizt, und mit der Zeit lernte Miki, auf welchen Punkt genau er drücken musste, um seinen Vater zu ärgern. Gabi fragte sich auch, was aus ihm werden sollte und auf was er verzichtete, wenn er den Großteil seiner Zeit dem Jungen widmete. Er wusste, dass er irgendwann entscheiden musste, was er machen wollte. Auf der anderen Seite lieferte ihm Miki einen ausgezeichneten Vorwand dafür, seine Entscheidung zu vertagen. Er konnte sich keine bessere Art ausdenken, die Zeit zu verbringen. Und er liebte sein Kind, genoss die meisten Augenblicke in seiner Gesellschaft.
    Das Problem war, dass sie es sich nicht leisten konnten, ohne Einkommen zu leben. Anna würde nicht unmittelbar eine Stelle antreten, es würde sie einige Zeit kosten, sich zu orientieren. Würde sie in der Übergangsphase mehr Zeit mit Miki verbringen können?, fragte Gabi. Es schien, als schreckte sie vor der Idee zurück. Gabi wurde zornig, fühlte sich ausgebeutet. Es wurde beschlossen: Kindergarten.
    Gabi brachte Miki jeden Morgen hin und sehnte sich ab dem Augenblick nach ihm, in dem sich das Tor des Kindergartens geschlossen hatte und er zur Arbeit ging. Der Freund mit dem Wurfsendungsgeschäft nahm ihn mit Freuden wieder auf und gab ihm eine Büroarbeit in Vermarktung und Verkauf, stundenweise, mit bescheidenem Lohn. Miki gewöhnte sich ein. Anna ging zu Vorträgen und Tagungen, Ergänzungskursen und Vorstellungsgesprächen. Einmal erzählte sie ihm von dem Angebot eines Betriebs in Afula, und er spitzte die Ohren.
    »Dieses Kernröstwerk?«, fragte er.
    »Nein, du Witzbold«, erwiderte sie. Es war ein Recyclingbetrieb für städtischen Müll, einer der fortschrittlichsten der Welt. Dort war eine Stelle in der Abteilung Betriebsentwicklung eingerichtet worden, ihnen hatte ihr Lebenslauf gefallen, und sie hatten sie zu einem persönlichen Vorstellungsgespräch eingeladen. Sie würde wahrscheinlich über Nacht in einem Hotel dort bleiben müssen, auf deren Kosten.
    »Gibt es Hotels in Afula?«, fragte er. Sie lachte wieder. »Und wenn sie dich nehmen, fährst du dann jeden Tag nach Afula?«
    Sie wurde ernst. »Wir werden sehen«, sagte sie, »vielleicht ziehen wir in einen der Kibbuze in

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