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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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der Umgebung? Es gibt wunderbare Kibbuze dort im Emek. Wir haben immer gesagt, dass wir Miki eine Kindheit geben wollen, wie wir sie hatten, statt Ruß von Autobussen, enge Wohnungen und Parks voller Hundescheiße.«
    Haben wir das gesagt? Gabi versuchte sich zu erinnern, doch es gelang ihm nicht, so ein Gespräch zu rekonstruieren. Er wollte niemandem eine Kindheit wie die seine »geben«, das wünschte er niemandem, ganz bestimmt nicht seinem geliebten Sohn. Und was sie über Tel Aviv sagte, vielleicht war etwas Wahres dran, aber er war doch ziemlich überrascht über die Verachtung, die Anna der Stadt entgegenbrachte, in der sie seit drei Jahren lebten. Fast fühlte er sich in ihrem Namen ein bisschen beleidigt. Und als er so sinnierte, fiel ihm ein, dass sie früher einmal anders geredet hatte. Früher, als sie gerne ans Meer gingen, nach langen Abendspaziergängen auf der Allee zurückkamen, manchmal in einem Café Halt machten. Bis Miki geboren wurde.
    Flut und Ebbe, Frühling und Herbst: Sie kam begeistert aus Afula zurück. An jenem Wochenende fiel ihm auf, dass sie seine Hand hielt, als sie auf der Allee spazieren gingen, ihn anlächelte und hin und wieder grundlos auf die Wange küsste. Sie fühlte sich gut, war angeregt von der neuen Arbeit. Es sei nicht für längerfristig, sagte sie, eines Tages wolle sie ein eigenes kleines Unternehmen aufmachen, aber es sei ein hervorragender Ausgangspunkt: ein fortschrittlicher, bahnbrechender Betrieb, ein Produkt, das Umwelt und Natur half, nette Leute, mit denen sie vom ersten Augenblick an gut klarkam. Gabi begann sich das Leben im Emek, im Jezre’eltal, vorzustellen, sogar wenn ihn die Idee mit dem Kibbuz ziemlich abschreckte. Vielleicht könnte er ja sein Studium im Fernbetrieb fortsetzen. Vielleicht könnte er sich in einem interessanten Zweig im Kibbuz integrieren. Miki wäre bestimmt ganz wild darauf. Und da sagte Anna, wenn er in Tel Aviv bleiben wolle, könnte sie vielleicht ein Zimmer in einem der Kibbuze finden, ein paar Tage in der Woche im Norden bleiben und zu langen Wochenenden nach Tel Aviv heimfahren. Er war so schockiert, dass er für einen Moment geblendet war, nichts mehr um sich herum sah. Denn für ihn hörte sich das, zwar in abgemilderter und verkappter Form, aber dennoch wie ein Vorschlag an, sich zu trennen. Nicht nur von ihm, sondern wie ihr Vater dreißig Jahre davor von ihrem einzigen Kind. Ebbe und Flut hängen miteinander zusammen. Er blickte sie mit feuchten Augen an, und sie sagte lächelnd: »Nicht erschrecken, das ist nur ein Vorschlag. Für den Fall, dass ihr in Tel Aviv bleiben wollt.«
    »Du bist zwei Jahre, acht Monate und drei Tage alt«, erzählte Gabi Miki auf dem Weg zum Kindergarten, und Miki sagte: »Ja, Papa?« Und Gabi antwortete: »Ja, Miki.«
    Anna arbeitete in Afula. Sie hatte ein Auto von der Arbeit erhalten und fuhr drei Tage in der Woche hin und her, und am vierten Tag übernachtete sie im Gästezimmer in einem der nahe gelegenen Kibbuze in der Umgebung. Sie war zufrieden, und Gabi entdeckte, dass es gar nicht so schrecklich war, wie er es sich ausgemalt hatte. Er brachte Miki am Morgen in den Kindergarten, holte ihn am Nachmittag ab, und in der Zwischenzeit saß er im Büro, hatte Sehnsucht und versuchte, potentielle Kunden für Werbung per Wurfsendungen zu interessieren, die in Briefkästen und unter Autoscheibenwischer verteilt wurden.
    »Du bist zwei Jahre und elfeinhalb Monate alt.« Zwei Wochen darauf nahmen sie alle drei Urlaub und vergnügten sich einen ganzen Tag am Strand und im Café. Sie aßen Schnitzel mit Pommes und braunes Eis, wie Miki es liebte. Und waren im Spielpark. Die Erlebnisse dieses Tages gruben sich in Gabis Gedächtnis ein: der Ausdruck des schwitzenden, glücklichen Gesichts von Miki. Der Sand, der an seiner Stirn klebte. Der Mund, geziert von einer eingetrockneten braunen Kruste. Und der lästige Junge, der versuchte, Miki seinen Plüschwolf wegzunehmen, den er auf diesen Ausflug mitgenommen hatte, ein größerer Junge als Miki, mit Locken, gelangweilt und unverschämt.
    Was machst du hier, du lästiger Junge? Wo ist dein Vater, wo ist deine Mutter, wo sind deine Freunde? Warum willst du unbedingt an jedes Gerät und zu jedem Spiel rennen, mit dem Miki spielen will, dich vordrängen, gefühllos herumtrampeln? Wie kannst du es wagen, deine dreckigen Hände auf Peter, den Wolf meines Kindes zu legen? Warum willst du mein Blut unbedingt zum Kochen bringen? Mein Blut kocht, die Luft tritt

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