Auf fremdem Land - Roman
sahen etwas aufblitzen, am Himmel fliegen, alles vor ihnen ausgebreitet wie im Kino, dann Dunkelheit und danach eine gewaltige Explosion, die den Fiat leicht wackeln ließ.
Nach ein paar Sekunden sagte Ascher: »Vorbei, das war’s.« Riki wandte sich nach hinten, doch ihre beiden Engel lagen schlafend in ihren Träumen.
»Sie haben nicht mal gezuckt«, sagte sie zu Ascher, und er wiederholte, mit rasendem Herzklopfen:
»Das war’s. Es ist vorbei.«
»Woher weißt du, dass es vorbei ist?« Sie war erstaunlich gelassen. Aber im Grunde lief es immer so ab: Riki fürchtete sich vor dem Unbekannten, vor der lauernden Gefahr, ängstigte sich vor Granaten, bevor sie an Orte fuhr, wo sie vielleicht fallen konnten, auch wenn die Wahrscheinlichkeit gering war, und Ascher war das genaue Gegenteil, pfiff auf die geringe Wahrscheinlichkeit, sagte, wenn was passiert, passiert’s eben, ich fang nicht an, mein Leben jetzt zu ändern, weil eventuell irgendwo eine Granate einschlagen könnte. Doch in dem Moment, in dem die Situation eintrat, in dem Augenblick, in dem eine Granate durch den Himmel flog und in ihrer Umgebung explodierte, wurde sie nüchtern und praktisch, reagierte mit Kaltblütigkeit und eisernen Nerven, während Ascher schlappmachte, zitternd wie ein Feigling, in Stress geriet und Dinge sagte wie: »Ich weiß nicht, aber ich schätze mal …«
»Auf welcher Grundlage schätzt du mal?«, fragte Riki, doch er gab keine Antwort. Er blickte sie an und sie ihn, fast mit einem Lächeln, wie um herausfordernd zu sagen, du versuchst ja bloß, dich selber zu beruhigen, du hast keine Ahnung, ob noch eine Granate kommt oder nicht. Ihre Lippen waren leicht nach oben gebogen, ihre Augen ein wenig staunend, und dann richtete sie ihren Blick wieder auf die Straße zurück, vielleicht spürte sie etwas, eine unerwünschte Präsenz, und er folgte ihrem Blick, sah vielleicht den Anflug von Schrecken in ihren Augen eine Sekunde davor, streckte vielleicht instinktiv einen Fuß zur Bremse aus, noch bevor er die Kuh sah – riesig und verloren mitten auf der Fahrbahn. Anscheinend hatte sie die Granate gehört und war geflüchtet, und nun wandte sie ihre Augen, neugierig und farbenblind, dem Lichterpaar zu, das immer näher auf sie zukam, auf ihrem Platz wie angewachsen, unfähig zu erkennen, was geschehen würde, den Widerhall der Granate noch in den Ohren, die zwei Jungen schliefen immer noch auf dem Rücksitz, die beiden Eltern rissen in ihrem Entsetzen den Mund auf vor dem großen Vieh, das mitten im Weg stand.
Die Kuh kam bei dem Zusammenstoß nicht zu Tode, wurde jedoch später getötet, nachdem man an ihren Rippen zahlreiche Brüche diagnostizierte. Die Eltern waren auf der Stelle tot, wurden im Auto zerquetscht. Und Ascher hatte recht – die Granate war singulär, die einzige, die in jener Nacht abgeschossen wurde. Offenbar war sie blind abgeschossen worden, ohne Richtung oder Ziel, vielleicht ein Testgeschoss, möglicherweise zur Einschüchterung.
Gabi wurde eine mustergültige Gastfreundschaft von der Familie Gam-zo-letova zuteil. Der Familienvater, korpulent, mit blauen Augen und großer Glatze unter der großen Kipa, nahm ihn auf einen kleinen Morgenspaziergang mit, nachdem er die Nacht in ihrem Haus verbracht hatte, und sagte zu ihm: »Hör zu, ich weiß nicht, wer du bist und was du bist, aber ein sehendes Auge und ein hörendes Ohr, die macht beides der Herr. Ich glaube nicht, dass du ein Soldat bist, und ich denke nicht, dass du weißt, wohin du willst, und ich weiß auch nicht, vor wem oder was du fliehst, aber hier hast du nichts zu befürchten. Bei uns sagt man, und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.« Gabi verstand nicht – wieso finstern Tal? Und was war das mit dem Auge und dem Ohr? »Wir nehmen jeden Juden mit Segen und offenen Armen auf«, fuhr der Mann fort, »du kannst hierbleiben, so lange du willst, wir werden dir Essen und ein Bett geben. Wenn du längere Zeit bleiben möchtest, organisieren wir dir vielleicht eine Unterkunft in einem Wohnwagen der Ledigen. Wir brauchen immer Hilfe bei der Wache, beim Bauen, bei der Gartenarbeit. Sag mir nur eins: Bist du mit dem Gesetz in Konflikt oder so was?«
Gabi gefiel diese Ansprache zwar nicht, aber mehr als das, was sich ihm hier bot, hätte er nicht erwarten können. Ein ferner, abgelegener Ort, jemand, der ihn beherbergte, auch wenn er wusste, dass er ein Betrüger war. Doch etwas an dem Mann störte
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