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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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ihn. Und etwas an dem Ort ärgerte ihn. Vielleicht erinnerte ihn der Mann allzu sehr an die lästigen Erwachsenen im Kibbuz, die aufrechte Haltung, die Anmaßung und unbeirrbare Sicherheit derer, die wissen, was richtig ist, belustigt von den Versuchen anderer, sie zu kritisieren.
    Er schüttelte den Kopf. Er war nicht im Konflikt mit dem Gesetz. Er aß mit der Familie noch zu Abend. Er schlief im Zimmer der Kinder, zusammen mit zwei von ihnen auf einer Matratze am Boden, hörte das Weinen in der Nacht und das Getrappel ihrer Füße am Morgen nicht, weder das Getrommel auf dem Tisch noch das Umfallen von Spielzeug, reagierte nicht einmal auf die Neugier Davids, der kam, um ihm den Kopf zu streicheln, und versuchte, eines seiner Lider aufzuziehen. Nichts konnte ihn wecken, bis fast zur Mittagsstunde, als er die Augen in einem stillen, leeren Haus aufschlug, über den Kühlschrank und den Brotkasten herfiel, eine lange Dusche nahm, und dann erneut die Uniform und die Palladium Boots anzog, in den Taschen der Funktionsweste stöberte, eine Zigarette fand, die, zerdrückt und krumm, aber nicht abgebrochen, nach Noblesse schmeckte, sie ein bisschen zwischen seinen Fingern glättete, eine Schachtel Streichhölzer herauszog, sie anzündete, sich umsah und nachdachte.
    Als er fertig war, warf er den Zigarettenstummel zu den Nescaféresten ins Spülbecken und hörte ihn zischend erlöschen. Er betrat das Zimmer der Eltern, wühlte in den Schubladen, fand sechshundert Schekel zusammengefaltet in einem Gebetbuch, schaute sich um und steckte sie ein, warf eine Tasche über die Schulter und ging hinaus, zum Eingangstor der Siedlung. Er hasste den Ort. Aber, wie man so schön sagt, gam zo letova – auch dies wird zum Guten gereichen.
    Der Orientierungsmarsch
    Vor der Woche der Einzelorientierungsmärsche hatten sie eine Unterredung mit Roni. Sie versuchten, ihm entgegenzukommen, verstanden die besondere Familiensituation, in der er sich befand. Aber trotzdem, sagten sie. Da waren Adoptiveltern, die inzwischen aus dem Ausland zurückgekommen waren. Es gab den Kibbuz. Es gab ein komplettes System, das verantwortlich war, sich kümmerte, suchte. Er konnte sich nicht die ganze Verantwortung aufladen. Er konnte nicht in allen Teilen des Landes herumlaufen und erwarten, einen einzelnen Menschen in einer Bevölkerung von vier Millionen zu finden. Und noch dazu einen Menschen, der sich sicher versteckte und nicht gefunden werden wollte. Welche Chance gab es? Du hast Verpflichtungen, sagten sie. Du kannst dich bedanken, dass du nicht in einer normalen Einheit bist, wo dir kein Mensch diesen Sonderurlaub genehmigt hätte. Also los, jalla , Roni, reiß dich zusammen. Wir haben Aufgaben, Manöver und Übungen. Wir haben eine Woche von Einzelorientierungsmärschen. Roni nickte, ja, ja, er wusste das, es tat ihm leid, dass er in der letzten Zeit nicht er selbst war, bloß diese Geschichte, ihr wisst schon. Wir wissen es, sagten sie zu ihm, aber. Ja, sagte Roni. Er würde sich wieder einkriegen, als Erster bei der Einzelorientierung ankommen, alle daran erinnern, wer der wahre Roni Kupfer war. Er dachte an die Zeitverschwendung, all die Fahrten, und er war nicht einmal in die Nähe eines Anhaltspunkts gelangt. Er hatte keine Ahnung, wohin er fahren, wo er suchen sollte. Anfangs hatte er erwogen, sich an die Polizei zu wenden, doch Vater Jossi hatte bei einem Anruf aus dem Ausland klipp und klar nein dazu gesagt, also fuhr er fort, mit einem Foto seines Bruders herumzuwandern, mit einer groben Beschreibung, auch wenn er die Uniform und die Nadeln der Einheit bestimmt schon nicht mehr trug. Und obwohl er wusste, dass die Chance äußerst schwach war, brauchte er trotzdem diese einsamen Stunden auf den Straßen, um sich an die Brust zu schlagen, zu weinen, über die Fehler nachzudenken, die er gemacht hatte, die Jahre, die er sich von allen ferngehalten hatte, Jifat, die Nutte.
    Vater Jossi und Mutter Gila kehrten keine Minute vor dem geplanten Reiseende aus Europa zurück, obwohl Roni sie bereits am zweiten von ihren zwölf Tagen abends im Hotel telefonisch erreicht und ihnen berichtet hatte, dass Gabi verschwunden war. Er rief sie weiterhin fast jeden Abend an, bat sie flehentlich zurückzukommen, bettelte fast und war wütend – Jossi, im Hotel, fragte Gila, doch Gila blies grinsend Rauch aus, bewegte den Kopf von einer Seite auf die andere und fragte: »Siehst du das? Siehst du mich? Kapierst du, was diese Bewegung heißt?« Weder Gabi noch

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