Auf fremdem Land - Roman
klein, ich bräuchte eine Machete, um diesen Garten zu vernichten, was ist da überhaupt drin? Schmetterlinge? Raupen? Pflanzen? Dutzende Arten von Schmetterlingen, Puppen, Seidenraupen, die Blätter von Maulbeerbäumen fressen. Ah ja, hier ist es, das ist die richtige Stelle, ich wusste, dass ich sie finde, mitten im Treibhaus der Schmetterlinge, über den Nylonfetzen und den zerbrochenen Holzvorrichtungen, die sie in der Schreinerei gebaut haben. Da, hier setze ich mich hin und entlade einen großen, dampfenden Haufen. Diese Avocadoblätter, oder was immer das ist, sind wunderbar zum Hintern-Abwischen, und auch das nasse Hemd.
Graues Empfinden. Kurzschluss im Hirn. Anstieg des Testosteronspiegels. Absinken des Nervenbotenstoffs Serotonin. Störungen im Schläfenlappen. Eingeschränkte Aktivität in der vorderen Hirnrinde: all die Versuche, eine biologische Erklärung für soziales Verhalten zu liefern. Wissen sie überhaupt, wovon sie reden? Selbstverständlich drang die Geschichte, Gott bewahre, nicht über die Kibbuzgrenzen hinaus, man machte keinen Versuch, sich professionelle Hilfe zu holen, wozu sollte das gut sein. Es gab einen Genossen im Betrieb, dessen Vater Psychologe war, es gab Büchereien, um in Büchern zu blättern, es gab enge Freunde, bei denen man anrufen und sich »so allgemein über Verhaltensprobleme bei Jugendlichen« erkundigen konnte. Jossi selbst las ein Buch über Psychopathie durch und beschloss, das würde zu dem Fall passen: hohe Intelligenz, niedrige Selbstkontrolle, übertriebenes Selbstwertgefühl und reduzierter Ausdruck von Reue oder Bedauern. Jedes einzelne dieser Symptome meinte er bei Gabi zu identifizieren oder Gabi in ihnen zu erkennen. Sicherlich den reduzierten Ausdruck von Reue oder Bedauern. Ganz gewiss hohe Intelligenz.
Roni wurde am nächsten Tag auf seiner Basis alarmiert, denn wer konnte sonst mit Gabi reden nach einem solchen Frontalangriff auf das Werk von Vater Jossis Händen, auf das Baby der Gärtnerei? »Er hat geschissen«, sagte er zu Roni am Telefon. »Er hat mitten ins Schmetterlingstreibhaus geschissen. Wir haben es erst diese Woche eröffnet, Roni, was für eine Art Untier ist imstande, so was zu tun? Und noch dazu am Abend vor unserer Europareise?«
Jahre hindurch hatte Mutter Gila den ganzen Tag nur ununterbrochen ihre Broadways 100 geraucht und auf ihre erste Reise mit Jossi ins Ausland gewartet, das klassische Europa, eine organisierte Reise von »Komm, wir reisen«, die auch als ihre Versöhnungsreise galt, vielleicht der letzte Versuch, ihre zerrüttete Partnerschaft zu retten. Wie viele Jahre hatten sie geduldig gewartet, bis sie an die Reihe kamen, hatten wie Ochsen gearbeitet, sich völlig verausgabt, die zwei Musketiere aufgezogen, bis sie fast erwachsen waren, und endlich: Hurra, Roma! Willkommen, Paris! Jossi sagte zu ihr: »Was sollen wir machen? Streichen?« Worauf sie grinsend den Rauch ausstieß und sagte: »Von mir aus kann er den Kibbuz anzünden, ihn abbrennen, bis kein Grashalm mehr übrig bleibt. Ich bin heute Nacht in Wien!«
Kurze Zeit nachdem die Eltern mit einem Kibbuznik, der nach Tel Aviv fuhr, in Richtung Flughafen aufgebrochen waren, traf Roni in seiner Uniform ein, mit dem Fallschirmspringerabzeichen, dem braunen Barett und der lachenden Katzennadel der Kommandoeinheit, der Waffe über der Schulter und dem Geruch nach Öl und Männerschweiß, betrat das Zimmer und setzte sich, so wie er war, auf Jotams Bett und betrachtete seinen Bruder, der in Jeans, ohne Hemd, auf dem Rücken lag – die gleiche Kleidung, die er während des »Vorfalls« am Abend zuvor angehabt hatte –, an die Decke schaute und einen Plastikball nach oben warf, auffing, warf und fing.
»Hi«, sagte Roni.
Gabi blickte zur Seite, drückte den Plastikball an seine Brust. »Hast du Abzeichen gekriegt?«
Roni sah auf seine Brust. »Ja. Nadel der Einheit. Wir haben eine Übung beendet.«
»Gratuliere.«
»Danke. Was ist passiert?«
»Ich hab keinen Nerv, drüber zu reden.«
»Aber warum Vater Jossi? Was hat er dir getan?«
»Ich hab keinen Nerv, drüber zu reden. Er hat mir gar nichts getan. Es hat nichts mit ihm zu tun.«
»Was haben sie zu dir gesagt?«
Gabi schnitt eine Grimasse. »Nichts. Kurzschluss im Hirn. Was weiß ich?«
»Hat jemand mit dir darüber geredet?«
»Wozu? Roni, ich hab echt keinen Nerv, drüber zu reden.«
Roni stand auf, öffnete seine Knöpfe. »Hast du ein Handtuch? Ich würde mich für mein Leben gern duschen, seit
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