Auf in den Urwald (German Edition)
jetzt war furchtbarer als seine schlimmsten Vorstellungen, hässlicher als die abstoßendsten Darstellungen, die er je gesehen hatte. Seine Fassungslosigkeit wich Entsetzen und seine Augen wurden groß und füllten sich mit Tränen.
Er blickte zu Mrs Finchley auf und flüsterte: »Sie haben mir gesagt, ich sei schön.«
Modo sank auf die Knie, schlug sich die Hände vor die Augen und brach in ein klagendes Geheul aus. Er rollte sich zu einer weinenden, jammernden Kugel zusammen, sein Buckel drückte gegen das Hemd.
Mr Socrates ließ den Spiegel sinken. »Ich habe dich gewarnt, dass dies eine harte Lehrstunde sein würde. Du bist missgestaltet. Du bist hässlich. Aber vergiss nie den heutigen Tag. Heute hast du gelernt, dass du ein großartiges Geschenk mitbekommen hast: Dein abstoßendes Antlitz mag dir jetzt unerträglich erscheinen, doch die Welt wird dich genau deshalb stets unterschätzen. Die Natur hat dir noch ein zweites Geschenk mitgegeben, die Gabe, dein entstelltes Äußeres zu verändern, eine Fähigkeit, von der andere Menschen nur träumen können. Es ist eine wundervolle und ungemein wertvolle Mitgift. Gemeinsam werden wir an ihrer Perfektionierung arbeiten.«
Modo hörte nicht mehr zu. Das grauenerregende Bild seines Gesichts hatte sich ihm eingebrannt. Er stieß einen spitzen Schrei aus und prügelte auf seinen Kopf und den Buckel ein, als wollte er die Missbildungen mit Schlägen in sein Fleisch zurücktreiben. Er trat so heftig mit den Füßen um sich, dass er gegen die Wand prallte und Putz herabbröselte.
»Hör auf zu jammern!«, befahl Mr Socrates.
Modo versuchte, sein Schluchzen zu unterdrücken. Er beruhigte sich so weit, dass ihm nur noch vereinzelte wimmernde Laute entschlüpften, doch er hielt die Hände weiterhin auf sein Gesicht gepresst. Langsam sah er vom Boden auf. Alle Augen ruhten auf ihm. Mrs Finchley hatte geweint. Tharpas Miene war wie immer undurchdringlich, doch Mr Socrates wirkte überraschenderweise ein wenig traurig.
»Ich weiß, dass du erst fünf Jahre alt bist, aber du musst lernen, dich zu beherrschen«, flüsterte er. »Du musst.« Er griff in die Reisetasche zu seinen Füßen und holte einen hautfarbenen Gegenstand hervor. Modo blickte ihn mit zusammengekniffenen Augen an und erkannte Löcher für die Augen und eine Mundöffnung.
»Ich habe das hier extra für dich im fernen Venedig bestellt. Es ist eine Maske. Diese Masken sind aus Pappmaché gefertigt und deshalb außerordentlich leicht. Du wirst kaum bemerken, dass du sie trägst.« Er legte sie neben Modo auf den Boden. Die Maske hatte eine gerade Nase und makellos geformte Lippen.
Modo wimmerte erneut.
Mr Socrates wandte sich abrupt ab und sagte: »Trösten Sie ihn nicht, Mrs Finchley. Das ist ein Befehl. Er muss lernen, sein Aussehen zu akzeptieren. Lassen wir den Jungen jetzt allein und trinken Tee. Ich habe eine Auswahl mitgebracht, die beim letzten Teeklipper-Rennen ganz frisch aus Fuzhou eingetroffen ist.«
Mit diesen Worten schritt er zur Tür, gefolgt von Tharpa und Mrs Finchley. Sie warf noch einen raschen Blick über die Schulter zurück, aber Modo hatte sein Gesicht erneut in den Händen verborgen. Unter Schluchzen hörte er, wie die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel.
Nach einigen Sekunden hob er den Kopf, streckte die Hand aus und berührte die Maske. Sie war kalt und hart. Er griff danach und untersuchte die Öffnungen für die Augen und die kleineren für die Nasenlöcher. Schließlich zog er die Maske über sein Gesicht, drückte seinen Rücken gegen die Wand und weinte.
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