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Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela

Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela

Titel: Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Malangré
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noch etwas „heilig“? Sind etwa
„meine“ Aachener Heiligtümer — das Kleid Marias, die Windeln Jesu, das
Enthauptungstuch des Täufers Johannes, das Lendentuch des gekreuzigten Herrn —
ganz unbestreitbar echt und somit „heilig“?
    Ich komme da auf ein Erlebnis
zurück, das ich vor einigen Jahren bei einer Israelreise hatte. 78 Wir feierten Messe
im Gemeindezentrum unseres geistlichen Reiseleiters Père Roger. Die Kirche
hieß: Sankt Abraham. Sankt Abraham? Kein Papst, keine Kirche hat Abraham
heiliggesprochen. Ist er darum nicht heilig, nicht über das Profane,
Diesseitige, Weltliche hinausgewachsen? So gab uns Père Roger in Beersheva die
Antwort, „daß Abraham schon lange heilig war, bevor es überhaupt
Heiligsprechungen gab. Ein Heiliger ist jemand, der Gott sehr nahestand...
unsere arabischen Brüder... nennen nämlich Abraham el-Chalil, das heißt: der
Freund; und gemeint ist damit... der Freund Gottes“ 79 .
    Freund Gottes — das kennen wir
aus unserem christlichen Liedgut: „Ihr Freunde Gottes allzugleich“ — so
besingen wir die Heiligen.
    Freund Gottes wäre also der Heilige. Und was wäre das Heilige? Hier möchte ich entpersonalisieren
und in grammatisch-logischer Abwandlung sagen: das Heilige wäre dann die ,,Freundschaft“ Gottes, die Vertrautheit, der Umgang mit Ihm — all das,
was unseren irdischen Alltag überwölbt und verklärt, ihn eben „heiligt“. —
Kommen wir so den seltsamen Reliquien von Oviedo, kommen wir so überhaupt den
Reliquien näher? Erkennen wir in ihnen etwas von dem, das wir „das Heilige“
genannt haben: Freundschaft Gottes, Freundschaft mit Gott?
    Ich glaube, hier gibt es
Zugänge. Wenn wir Reliquien verstehen als Zeichen und Nachweis der Freundschaft
Gottes, dann wird historische Echtheit im Sinne moderner Archäologie völlig
uninteressant. Dann interessiert nur noch das Symbol und die
Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft seiner Aussage.
    So kann ich mich sogar auf die
Reliquien der Cámara Santa von Oviedo einlassen, auf die Symbole der Mutter
Maria, des Petrus, des Moses, der Maria Magdalena, des Lazarus von Bethanien,
ja, auch des Judas — „mein Freund“, sagt Jesus zu ihm noch im Moment des
Verrats (Mt 26, 50) — und aller anderen. Wir haben hier fürwahr ein Symposion
der Freundschaften Jesu!
    Das Heilige als Freundschaft
Gottes, als Freundschaft mit Gott, als Zuwendung Gottes zu uns, aber auch als
unsere antwortende Zuwendung zu Gott. Das Heilige bedarf immer der
Transzendenz, des Überschreitens unserer irdischen Dimensionen.
    Die Cámara Santa und ihre
Schätze, überschreiten sie die irdischen Dimensionen? Oder bleiben sie gerade
wegen der Fragwürdigkeit der Verehrungsobjekte allzusehr im Irdischen? — Wir
drehen das hin und her. Wir suchen den „reinen Gral“.
    In unserer christlichen
Reliquienwelt ist dieser „reine Gral“ nicht zu finden. Reliquien sind nach der
lateinischen Wortbedeutung „Reste“, Überbleibsel von Wirklichkeiten, die ihre
äußeren Formen verlassen haben und dennoch fortbestehen — wie, wo, wer weiß es?
Gott weiß es ; und auch die wissen es, welche schon bei ihm sind.
    Wir nennen sie: die Heiligen. —
Da schließt sich der Kreis. Wir haben gefragt, was ist es, das Heilige?
Und wir finden die Antwort: Das wissen nur Gott und seine Heiligen, die Heiligen.
Kann man „heilig“ entpersonalisieren? Wohl nicht.
    Damit könnten wir uns begnügen
und sagen: Warten wir also ab. Wenn alles stimmt, was wir glauben, dann werden
wir einst sehen. Bis dahin sind uns „Reliquien“ mehr oder minder seriöse
Symbole für „das Heilige“, selbst die Schuhsohle des Petrus oder der Silberling
des Judas.
    Was haben Reliquien —
Überreste, Zurückgelassenes — denn abgegeben in andere, neue, höhere
Seinsformen, die über Knochen und Haut und Kleider und Schmuck hinausgehen? Für
was stehen diese Relikte, diese Hinterlassenschaften?
    Bei den Theologen besteht über
alle Kontroversen hinweg ein tiefer Grundkonsens über die Zusammengehörigkeit
von Seele (anima = forma) und Leib (materia prima). Die Thesen reichen bis zur
Erwartung, bei der Auferstehung der Toten werde die Seele wieder vereint mit dem Leib, den sie einst bewohnt und geprägt habe. Das ist natürlich schon rein
physikalisch und chemisch nicht machbar, mag hier aber stehen als
„Extremtheorie“ für das Verwiesensein des Leibes, des Leiblichen, auf die alle
zeitlichen Veränderungen des Leiblichen überdauernde und in der Auferstehung zu
neuer

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